Tschetschenische Jugendbande: „Polizisten fürchten sich vor ihnen“

Millennium City
Millennium City(c) APA (PFARRHOFER Herbert)
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Bundeskriminalamt deckt extrem gewaltbereite Gruppe von Tschetschenen auf. Sie schlagen ohne Vorwarnung zu, tragen Pistolen und Messer. Und nennen sich Wölfe.

Wien. Freitagabend, 26. Februar 2016: Eine Mutter, ihre Tochter und drei ihrer Freundinnen im Alter von 14 bis 15 Jahren sitzen im Café Segafredo im Wiener Einkaufszentrum Millennium City. Die Teenager mit Migrationshintergrund feiern unter Aufsicht einer Erwachsenen. Gegen 23 Uhr werden sie von vier jungen Männern angesprochen, die sich als muslimische Sittenwächter gebärden, vorgeben, die Mädchen und ihre Mutter vom unislamischen Lebensstil abbringen, nach Hause begleiten zu wollen. Schon damals sorgte der Fall für öffentliches Aufsehen. Heute weiß man: Tatsächlich suchten die Jugendlichen (alle zwischen 19 und 24 Jahre) „nur“ Streit, einen Anlass, um ordentlich zuschlagen zu können. So sieht es jedenfalls die auf tschetschenische Straftäter spezialisierte Sonderkommission Gambit des Bundeskriminalamts.

Explosionsartiger Gewaltausbruch

Während der Ermittlungen hat sich herausgestellt, dass hinter den Verdächtigen eine Gruppe von zumindest 20 weiteren Personen im gleichen Alter steht. Allesamt Tschetschenen aus dem Großraum Wien, Asylberechtigte oder Asylwerber, durch die Bank Kampfsportler, Ringer, Boxer und Ausübende von Mixed Martial Arts (MMA). Die Masche mit der Sittenpolizei dient – so der Zwischenstand der Ermittlungen – offenbar nur dazu, ins Gespräch zu kommen, um unmittelbar einen Grund zur Machtausübung zu finden. Widersetzt sich dabei ein Beteiligter, folgen Schläge – oder Schlimmeres.

Eine Überwachungskamera hat im Februar den Vorfall in der Millennium City dokumentiert. Das Bildmaterial zeigt einen explosionsartigen Gewaltausbruch. Nachdem die beaufsichtigende Mutter ihren Ehemann per Telefon zu Hilfe gerufen hatte – ein Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes sah zuvor keinen Grund –, wurden anschließend sowohl der Mann, als auch ein zu Hilfe geeilter Passant ohne Vorwarnung krankenhausreif geschlagen. Im Bericht der Notaufnahme scheinen tiefe Platzwunden, zerstörte Gelenke (der Chirurg entfernte einen Schleimbeutel) und ein Auge auf, das bis heute nur durch ein operativ eingesetztes Titangeflecht zusammengehalten wird.

Muskeln, Messer, Munition

Die Gruppe, gegen die das Bundeskriminalamt nach wie vor ermittelt, nennt sich Die Wölfe. Dem Tier kommt in tschetschenischen Legenden eine große Bedeutung zu, es steht für Unbeugsamkeit und Kraft, ziert auch die Flagge tschetschenischer Separatisten. Die Kernmitglieder der Bande geben sich alle österreichische Tarnnamen mit dem Nachnamen Wolf. In ihren Facebook-Profilen posieren die jungen Männer alles andere als fromm: Mario, Manuel, Martin und Co., die tatsächlich Rachman, Schamil oder Bislan heißen, zeigen ihre vom Kampfsport trainierten Körper an allen möglichen Orten in Wien. In teurer westlicher Markenkleidung, mit Messern und Pistolen vom Typ Colt 1911 oder Glock 17. Die Waffen sind echt, keine Imitate und daher legal eigentlich nur unter strengen Voraussetzung zu kaufen. Und das auch nur für Personen ab 21. Viele der Wölfe sind jünger, eigentlich noch Kinder, in einem seriösen Waffenladen würden sie nicht einmal bedient werden. Die Soko Gambit hat herausgefunden, dass die meisten dieser Waffen aus Balkanländern stammen und hierzulande illegal gehandelt werden. Manche der Wölfe sind sich ihrer Sache so sicher, dass man auf den Fotos noch die Seriennummern der Waffen erkennen kann.

Im Büro für Organisierte Kriminalität (OK) des Bundeskriminalamts bewertet man die Gruppierung als ernste Bedrohung für die öffentliche Ordnung. „Diese Leute greifen bei einem Konflikt auf der Straße ohne Vorwarnung zu Gewalt. Sie sind trainierte Kämpfer, tragen Messer und Pistolen. Mit der Sonderkommission versuchen wir nun, das im Keim zu ersticken.“

Selten äußern sich Polizisten derart deutlich. OK-Büroleiter Andreas Holzer hat jedoch Gründe für seine Wortwahl. Fotos von schwer verletzten Unbeteiligten in den Ermittlungsakten zum Beispiel. Oder die Aussagen der privaten Sicherheitschefs von Einkaufszentren wie Millennium oder Lugner-City. Das Wachpersonal dort gehe der Gruppe längst aus dem Weg. „Selbst Polizisten fürchten sich vor ihnen, weil es so scheint, als ob das treibende Tatmotiv die schiere Ausübung von Gewalt ist.“ Zwei sogenannte Wölfe sitzen derzeit in U-Haft. Allerdings dürfte die Gruppe personell derzeit regen Zulauf haben.

Schutzgelderpresser aufgeflogen

Entstanden ist die Sonderkommission Gambit aus einem anderen Grund. Das zwölfköpfige Team hat einen filmreifen Fall von Schutzgelderpressung in der Wiener Lokalszene aufgedeckt (mit Auswirkungen bis nach Vorarlberg). Auch hier spielten tschetschenische Täter eine tragende Rolle. Die Kernmitglieder der Organisation sitzen inzwischen in Untersuchungshaft (mehr dazu: Im Luxus-Mercedes zur Schutzgelderpressung). (awe)

AUF EINEN BLICK

Die Wölfe. So nennt sich eine Bande junger Tschetschenen aus Wien. Das Bundeskriminalamt geht von derzeit 20 Mitgliedern aus. Es werden laufend mehr. Ende Februar schlugen vier ihrer Mitglieder zwei Männer in der Millennium City zusammen. Zuvor waren sie als eine Art islamische Sittenwächter aufgetreten.

Die Motivlage. Nach derzeitigen Erkenntnissen ist die Gruppe in kleine Drogen- und Erpressungsdelikte involviert (Schutzgeld). Allerdings dürften finanzielle Motive eher im Hintergrund liegen. Die zuständige Sonderkommission vermutet die Ausübung von Macht und körperlicher Gewalt als Haupttriebfeder der jungen Männer. So gut wie alle von ihnen sind Kampfsportler, die immer Messer und Schusswaffen bei sich tragen würden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.04.2016)

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