Raketenabwehr: „USA wollen sich immun machen“

Eine einseitige Diskussion über das umstrittene Projekt im Renner-Institut.

Wien.Bitter beklagte sich der Sprecher der tschechischen Bürgerinitiative „Nein zur Basis“, Jan Tamás, darüber, dass in seiner Heimat zu TV-Diskussionen, in denen die geplante Radaranlage im Rahmen des neuen US-Raketenabwehrsystems thematisiert wird, keine Gegner des Projekts geladen werden. Das Renner-Institut machte es genau umgekehrt: Es ließ am Mittwochabend über die in Polen und Tschechien geplanten Raketenabwehr-Installationen diskutieren und lud keine Befürworter zum Podiumsgespräch. Eine lebendige, kontroverse Debatte konnte es so ebenso wenig geben wie im tschechischen Fernsehen.

Immerhin bekamen die Zuhörer ein paar gute Argumente zu hören, die gegen die US-Raketenabwehr sprechen. Vor allem von Professor Roman Kuzniar, einst Leiter des Planungsstabes im polnischen Außenministerium, dann Direktor einer dem Außenamt nahestehenden Denkfabrik in Warschau.

Außenministerin Anna Fotyga feuerte ihn prompt, als er sich in einer Studie gegen eine Beteiligung Polens an dem US-Raketenabwehrsystem aussprach. Kuzniars Hauptargument: „Ich sehe die Bedrohung nicht, deshalb ist die Raketenabwehr sinnlos.“ Der von den USA angeführte Gefahrenfaktor Iran sei „kaum überzeugend“. Denn: „Es wäre Selbstmord, wenn Iran oder auch Nordkorea die USA oder US-Verbündete mit Raketen angreifen, weil dadurch ein vernichtender Gegenschlag provoziert würde. Staaten aber begehen gewöhnlich keinen Selbstmord.“

Offensive US-Verteidigung

Für Kuzniar passt die Raketenabwehr zur Tendenz der Regierung von George W. Bush, „die internationalen Beziehungen zu militarisieren“. Die US-Verteidigungspolitik sei keineswegs defensiv ausgerichtet („das amerikanische Territorium ist ja bereits bestens geschützt“), sondern offensiv: „Das wahre Ziel der Raketenabwehr ist es, die USA immun gegen einen Vergeltungsschlag zu machen. Denn wenn die Amerikaner immun sein würden, wäre es für sie noch leichter als heute, überall in der Welt zu intervenieren.“

Kuzniar rechnet auch mit einem neuen Rüstungswettlauf als Folge der Installierung des Raketenschutzschirms: „Denn vor allem Russland und China werden durch das Abwehrsystem geradezu gezwungen, strategisch zu reagieren.“ Kleinere Staaten wiederum würden gewiss verstärkt nach „asymmetrische Antworten“ auf das amerikanische Projekt suchen.

Der Politikwissenschafter befürchtet auch, dass das Raketenabwehrsystem die Nato spalten könnte, weil es „sichere und weniger sichere Bündnisstaaten schaffen wird“. Dass sich auch die sonst so pro-amerikanische polnische Bevölkerung in Umfragen mehrheitlich gegen eine Beteiligung des Landes an der Raketenabwehr ausspricht, führt Kuzniar auf die Erfahrungen mit dem Irak-Krieg zurück: „Viele Polen fühlen sich von den USA betrogen.“

Der tschechische Raketenabwehr-Gegner Tamás fühlt sich bei dem Projekt sonderlicherweise an 1968 erinnert: „Heute wie damals verhandelt eine kleine Prager Elite mit einer ausländischen Macht über die Stationierung von fremden Militärkräften im Land. Die tschechische Bevölkerung aber hat genug von fremden Soldaten auf eigenem Territorium, über die das Land keine Kontrolle hat.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.03.2007)

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