Leben in der Geisterstadt: „Soll Hebron judenrein sein?“

Radikale Siedler bauen in Teilen des Westjordanlands ihren Einfluss aus. Aufgeben kommt für sie nicht in Frage, Regierung und Armee schauen zu.

Hebron. Es ist ein unwirtlicher Rohbau mit nackten Betonwänden und Bergen von Bauschutt. Strom- und Wasseranschluss hat das Haus nicht. Die neuen Bewohner haben ein Toilettenwägelchen und einen Wassertank mitgebracht. Im Eingang brummt ein Generator, Burschen sammeln Holz für ein Feuer.

Die 15 Familien, die hier seit zehn Tagen hausen, sehen die Behausung als ihr großes Glück. In einer Mischung aus Abenteuerlust, Opferbereitschaft und Pioniergeist feiern sie ihre Hausbesetzung als Sieg – über die Palästinenser, über die israelische Armee und über die Regierung in Jerusalem.

Einzug mit der Eisenstange

Während Israels Ministerpräsident Ehud Olmert die saudische Friedensinitiative lobt, die den Rückzug aus den 1967 besetzten Gebieten vorsieht, schaffen die jüdischen Siedler in Hebron Fakten. Das Gebäude, zu dem sie sich mit Eisenstangen Zugang verschafft haben, ist riesig. Mindestens 300 Menschen hätten hier wohl Platz. Aus den derzeit 750 jüdischen Siedler würden damit mehr als 1000 werden. Und mit jeder Familie wächst auch der Widerstand gegen Pläne, das Westjordanland den Palästinensern zu überlassen.

„Darf ein Jude etwa kein Haus kaufen?“ beklagt sich Noam Arnon, einer der Sprecher der jüdischen Siedler. „Soll Hebron judenrein sein?“ Die jüdischen Siedler, betont der Israeli, der bereits seit 30 Jahren hier wohnt, hätten das Haus rechtmäßig erworben, für 750.000 Dollar von einem Maklerbüro in Jordanien. „Wir wollen nur dieselben Rechte haben wie andere auch.“ Im Namen dieser Rechte muss die israelische Armee 450 Soldaten bereitstellen. Und im Namen dieser Rechte ist Hebron heute eine geteilte Stadt mit den Zonen „H1“ und „H2“. In letzterer leben die jüdischen Siedler.

Die Al-Sahle-Straße, die dort entlang führt, war noch vor wenigen Jahren eine belebte Straße. Geschäft reihte sich an Geschäft. Autos mussten hupen, um sich Platz zu verschaffen. Heute lümmelt ein Hund mitten auf der Fahrbahn. Zwei Souvenirgeschäfte sind noch geöffnet, wohl eher aus Gewohnheit. Das jüdische Hebron ist wie eine Geisterstadt. Ein Drittel der ursprünglichen Bewohner sind hier, wo keine Palästinenser durchfahren und nur die Anwohner durchgehen dürfen, bereits weggezogen.

„Dieses Ausmaß an Unterdrückung und Anspannung gibt es in keiner anderen Stadt im Westjordanland“, sagt Jehuda Schaul. Der 24-jährige Israeli hat in Hebron seinen Militärdienst abgeleistet. Anschließend hat er mit anderen Soldaten die Gruppe „Das Schweigen brechen“ gegründet. „Wir wollen die Zivilgesellschaft darüber aufklären, was hier in Hebron passiert, wie die Gewalt der Siedler das Leben der Palästinenser unmöglich macht“, sagt er. Fast jede Woche macht er inzwischen Führungen.

Die Siedler hassen ihn. Nicht nur weil er Dinge sagt wie: „Die Siedler in Hebron sind radikale und faschistische Extremisten.“ Sondern vor allem, weil er einer der ihren sein könnte. Schaul ist religiös und hat denselben Hintergrund wie sie. Mit einem der Siedler ist er aufgewachsen, die Schwester war Schauls Babysitterin. Die meisten, die hin und wieder durch die ausgestorbene Straße brausen, kennt er mit Namen.

Der Staat hat kapituliert

Das schlimmste, so Schaul, sei die Gesetzlosigkeit in Hebron. Die jüdischen Siedler könnten tun und lassen, was sie wollten, sie würden nicht zur Rechenschaft gezogen. Das besetzte Gebäude zum Beispiel: Selbst wenn es stimmen sollte, dass die Siedler es rechtmäßig erworben haben, sie dürften trotzdem ohne Genehmigung der Armee nicht einziehen. „Darauf stehen fünf Jahre Gefängnis“, sagt er. „Aber keine Sorge, nichts wird passieren.“

Siedler würden nicht einmal zur Verantwortung gezogen, wenn sie auf Polizisten oder Soldaten feuerten. Der Staat habe vor ihnen kapituliert. „Wenn man versuchte, die Siedlungen zu räumen, würde ein Bürgerkrieg ausbrechen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.04.2007)

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