Jahrestag: Ein schwuler Polit-Dandy hat Holland entlarvt

Vor fünf Jahren starb Pim Fortuyn. Nicht nur sein Tod, auch seine politische „Unkorrektheit“ haben die Niederlande verändert.

Den Haag. Die Szene ist in den Niederlanden unvergessen. Pim Fortuyn steigt nach einem Wahlkampfauftritt in seinen Daimler mit Chauffeur. Er lässt die Scheibe herunter, winkt vom Rücksitz aus seinen jubelnden Fans zu. Dann hebt er die Hand und sagt: „Ich werde der nächste Ministerpräsident dieses Landes.“

Das war im April 2002 nach einem der vielen umjubelten Auftritte des Populisten Pim Fortuyn. Der glatzköpfige schwule Politiker genoss seine neue Rolle als Politstar der Niederlande sichtlich. Im März 2002 hatte er in seiner Heimatstadt Rotterdam bei den Kommunalwahlen einen grandiosen Wahlsieg errungen und auf Anhieb ein Drittel aller Wählerstimmen erhalten. Im Mai 2002 bei den Parlamentswahlen wollte er dieses Kunststück landesweit wiederholen.

Land im Ausnahmezustand

Doch es kam anders. Am 6. Mai 2002 war alles vorbei. Er war unterwegs zu seinem Wagen, als plötzlich ein blonder schmaler junger Mann vor ihm stand. Volkert van de Graaf. Er zog eine Pistole und streckte Fortuyn mit mehreren Schüssen nieder. Fortuyn stirbt noch am Tatort. Sein Mörder wird nach einer wilden Verfolgungsjagd von der Polizei gestellt und verhaftet. Im darauf folgenden Prozess wird der militante Tierschützer und Veganer Volkert van de Graaf zu einer 16-jährigen Haftstrafe wegen Mordes an Fortuyn verurteilt.

Holland trägt Trauer. Die Beerdigung des Volkstribunen Fortuyn wird zu einem Fanal. Im Haager Regierungsviertel demonstrieren Tausende Fortuyn-Anhänger. Das Land ist im Ausnahmezustand. Bei den Wahlen vom 13. Mai 2002 geben 1,6 Millionen Niederländer ihre Stimmen einem Toten. Die von Fortuyn gegründete Liste Pim Fortuyn (LPF) wird mit 26 der insgesamt 150 Parlamentssitze nach den Wahlen zweitgrößte politische Kraft des Landes und Regierungspartei.

Fünf Jahre später. Die LPF wird aufgelöst. Noch etwa 1000 Mitglieder hat die Partei. Im Haager Parlament ist sie nicht mehr vertreten. Die Diadochenkämpfe um die Nachfolge des charismatischen Fortuyn haben sie ruiniert.

Was blieb vom Erbe des Pim Fortuyn? Das größte Verdienst des politischen Dandys und Provokateurs ist zweifellos, dass es ihm gelungen ist, „die Diktatur der politischen Korrektheit“ wie er es nannte, zu durchbrechen und die Vorstellung vom Segen der multikulturellen Gesellschaft als eine Illusion zu entlarven. „Holland ist voll.“ Und: „Der Islam ist eine rückständige Kultur.“ Mit diesen provokanten Sprüchen hatte Fortuyn in der öffentlichen Debatte bis dahin in den Niederlanden herrschende Tabus durchbrochen. Das hatte und hat Folgen. Bis heute.

„Die Debatte über die multikulturelle Gesellschaft und über den Islam wird in den Niederlanden seither hart und moralisch geführt“, bemerkt der niederländisch-britische Autor Ian Buruma. Er spielt damit auf ein gesellschaftspolitisches Phänomen in Holland an, das hierzulande „Het fingertje“ genannt wird. Gemeint ist der erhobene Zeigefinger des sich moralisch überlegen fühlenden, der gerne andere zurecht weist.

Denn der politisch-motivierte Mord an Pim Fortuyn blieb nicht der einzige. Am 2.November 2004 wurde der Filmemacher und Islamkritiker Theo van Gogh in Amsterdam von einem islamistischen Extremisten erschossen. Van Gogh war zwar nicht auf einer gemeinsamen politischen Linie mit Pim Fortuyn. Eine Ansicht aber teilten beide: ihre harte Kritik am Islam als einer „unduldsamen Kultur“.

In Fortuyns Fußstapfen

Derzeit versucht sich der rechtsliberale Politiker Geert Wilders, dessen „Partei für die Freiheit“ (PVV) bei den letzten Parlamentswahlen im November 2006 aus dem Stand neun der insgesamt 150 Sitze im Parlament erobern konnte, sowohl das Erbe von Fortuyn als auch das von Theo van Gogh anzutreten. Doch die Schuhe, in die Wilders schlüpfen möchte, sind zu groß für ihn. Dass Wilders und dessen PVV aber so erfolgreich sind, beweist: Das niederländische Unbehagen mit dem herrschenden System, wo vieles im Hinterzimmer entschieden und dann im Parlament nur noch abgenickt wird, das Pim Fortuyn vor fünf Jahren erstmals thematisierte, es ist noch immer vorhanden. Die Niederlande haben den Schock und den Aufbruch, den Pim Fortuyn personalisierte, noch immer nicht verarbeitet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.05.2007)

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