Irans gestrandete Staatsfeinde

Volksmujahedin. Die iranische Widerstands-Gruppe war Iraks fünfte Kolonne gegen Teheran. Seit dem Ende der Saddam-Ära kämpfen sie vor allem gegen ihren eigenen Bedeutungsverlust.

Arash Sametipour könnte heute ein ruhiges Leben in seiner Heimatstadt in Burke, Virginia, führen, wohin seine Eltern nach der islamischen Revolution im Iran emigrierten. Doch in den späten 90er Jahren habe er den Fehler seines Lebens gemacht, sagt der 1975 in Teheran geborene Mann. Er verliebte sich in eine junge Frau mit iranischen Wurzeln, die ihn überredete, zu den „Volksmujahedin“ zu gehen.

Diese waren damals eine militante, von Iraks Ex-Diktator Saddam Hussein unterstützte Gruppe, die den Sturz der iranischen Regierung wollte. 1999 schickten ihn die Mujahedin ins Camp Ashraf im Irak, 100 Kilometer von der iranischem Grenze entfernt. Er sollte ein Attentat auf einen hochrangigen Polizeioffizier verüben.

„Die Mission war nicht erfolgreich“, sagt Sametipour im Büro der von ihm gegründeten „Nejat Society“. Nejat heißt „Erlösung“, die NGO hat die Wiedereingliederung früherer Mujahedin in die iranische Gesellschaft zum Ziel. Er sagt es so, als sei es um eine Formsache gegangen. Doch das Scheitern der Aktion führte dazu, dass er eine Zyanidkapsel schluckte und sich dann – weil das Gift ihn nicht getötet hatte – per Handgranate in die Luft sprengen wollte.

In Wien rekrutiert

Dabei verlor er seine rechte Hand, wurde aber in ein iranisches Militärspital eingeliefert und überlebte. Es folgten vier Jahre Gefängnis.

Für den Besuch der „Presse“ hat er den Ex-Mujahedin-Kämpfer Babak Amin eingeladen. Babak, der 1983 sein Studium an der TU Wien begann, wurde in dieser Stadt 1985 von den Mujahedin rekrutiert. Er flog mit Austrian Airlines nach Bagdad und kam zunächst in ein Lager nach Kurdistan. Während der Zeit des Iran-Irak-Krieges kämpfte er hauptsächlich gegen pro-iranische Kurden-Einheiten.

Kurz vor Kriegsende beschloss der Anführer der Volksmujahedin, Massoud Rajavi, die Taktik zu ändern: Sie sollten als Armee in die offene Feldschlacht gegen den Iran ziehen. Nachdem in der UN-Resolution 598 vom Juli 1987 ein Friedensplan zur Beendigung dieses Ersten Golfkrieges beschlossen wurde, stellte sich Rajavi vor seine Truppe und erklärte, dass ihre Glaubwürdigkeit dahin sei, falls sie nicht losschlagen würden.

Am 18. Juli, kurz nachdem der Iran das Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet hatte, schlugen die Mujahedin zu: 7000 Kämpfer zogen in die Operation „Ewiges Licht“. Sie geriet zum Desaster: Mindestens 1315 Kämpfer fielen. Die Organisation verlegte ihre Aktivitäten auf Terror-Angriffe innerhalb des Iran: 2001 wurde Babak Amin mit Panzerabwehrraketen und einer Kalaschnikow nach Teheran geschickt, um dort einen Anschlag auszuführen. Er wurde überwältigt und zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. 2005 wurde er aus der Haft entlassen.

Warum gab es keine Todesurteile, warum kamen er und Sametipour vorzeitig frei? Irans Regierung begann in der Ära von Präsident Mohammed Khatami, ihre Politik gegenüber den Volksmujahedin zu ändern. Mit milden Strafen und der Möglichkeit der Reintegration sollen die 4000 Kämpfer, die sich noch immer im Camp Ashraf aufhalten, überzeugt werden, in den Iran zurückzukehren.

Ein Mitarbeiter des iranischen „Center for Strategic Studies“, der seinen Namen nicht nennen will – er wirkt eher wie ein Mitglied des Geheimdienstes – klagt über den Unwillen der USA, das Camp im Irak zu schließen und die Kämpfer heimzuschicken. Tatsächlich sind die Volksmujahedin politische Waisen der wechselvollen Geschichte des Nahen Ostens.

Mit dem Fall Saddams hatte niemand mehr so recht Verwendung für die sektenartige Miliz: Die USA misstrauen ihr, weil auch Morde an US-Soldaten während der Schah-Zeit auf ihr Konto gingen. Falken im Pentagon würden sie dennoch gern als militanten Joker gegen den Iran im Ärmel behalten.

Umstrittene Aufdecker

Dass es diese Gruppe war, die 2002 die Existenz der Uran-Anreicherungsanlage in Natanz und des Schwerwasserreaktors in Arak aufdeckte, gilt ihnen als Beweis von deren Bedeutung. Der frühere Waffeninspektor Scott Ritter meint aber, dass Israels Geheimdienst die Quelle gewesen sei und aus „PR-Gründen“ – Israel verfügt selbst über Nuklearwaffen und weigert sich, den Atomwaffensperrvertrag zu unterzeichnen – die Gruppe mit den Informationen gefüttert habe.

Der Irak will die Kämpfer jedenfalls loswerden. Man verdächtigt sie, mit Extremisten zusammenzuarbeiten. Arash Sametipour leugnet nicht, dass die „Nejat-Society“ den Interessen Teherans dient – der Schließung von Camp Ashraf. Er betont aber, dass das humanitäre Interesse überwiegt.

Teheran will auch dem Lobbying des „Nationalen Iranischen Widerstandsrats“ (politischer Arm der Volksmujahedin) entgegenwirken. Der wehrt sich gegen den Beschluss der EU-Kommission, die Gruppe auf der EU-Terrorliste zu lassen. Hannes Swoboda, Vize-Chef der Sozialdemokraten im EU-Parlament, meint zur „Presse“: „Ich bin grundsätzlich skeptisch, was Terrorlisten betrifft. Sie verhindern Dialog. Es wäre aber ein falsches politisches Signal, die Volksmujahedin zum jetzigen Zeitpunkt von der Liste zu streichen.“

LEXIKON. Die Volksmujahedin

Mission: Die Volksmujahedin (MEK) wollen das theokratische Regime im Iran stürzen, ihre Anführerin Mariam Rajavi als Präsidentin einsetzen und sechs Monate später Wahlen abhalten.

Mitglieder: Rund 3800 Kämpfer befinden sich noch im Camp Ashraf im Irak. Die Anführer der Gruppe leben im Exil in Paris.

Geschichte: Nach dem Sturz des Schah-Regimes Bruch mit Khomeini. Viele flohen in den Irak, wo Saddam, der gerade Krieg gegen Teheran führte, ihnen Unterschlupf und Unterstützung bot. Die MEK verlegte sich auf Attentate. Nach der Irak-Invasion ergab sich die MEK der US-Armee.

Status: Sowohl die USA als auch die EU betrachten die MEK als Terrororganisation. Das Camp Ashraf soll aufgelöst werden. Die MEK verfügt im Iran über keine nennenswerte Unterstützung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.05.2007)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.