„Die Mazedonier verstehen unsere Sprache nicht“

Seit dem Friedensvertrag von 2001 gilt Mazedonien als Musterbeispiel für einen gelösten Konflikt. Doch das Nebeneinander von Mazedoniern und Albanern birgt nach wie vor Probleme.

TETOVO/SKOPJE. „Ehrlich, mir gefällt Mathematik – und Englisch.“ Stolz zählt die 13-jährige Shpresa ihre Lieblingsfächer auf. Sport gehört auch dazu. Deshalb spielt sie in ihrer Freizeit so oft wie möglich Volleyball. Diesen Nachmittag ist aber nichts mit Volleyball. Denn die junge Albanerin hat noch immer Unterricht. „Wir haben diese Woche die spätere Schicht, die mazedonischen Schüler waren am Vormittag hier“, berichtet Shpresa.

In der Braca-Miladinovi-Schule der mazedonischen Stadt Struga werden die Kinder nach Ethnien getrennt unterrichtet. Zwar müssen auch die Albaner die mazedonische Sprache lernen, ansonsten werden ihre Schulstunden aber auf Albanisch gehalten.

Das war nicht immer so. Erst im Sommer 2001 wurde vieles anders, nachdem Mazedoniens Regierung und Albaner-Vertreter das Abkommen von Ohrid unterzeichnet hatten. Es sieht mehr Rechte für die albanische Volksgruppe vor, die ein Viertel der Bevölkerung Mazedoniens darstellt: bei der Verwendung der eigenen Sprache, bei Mitbestimmung in Verwaltung und Politik. Es bedurfte dieser Zugeständnisse, um den Aufstand albanischer Rebellen zu beenden, die 2001 Mazedoniens Staatsmacht herausgefordert hatten.

Mi-24-Kampfhubschrauber, die knatternd ihre Kreise ziehen; Leuchtspur, die von den mazedonischen Stellungen in die Hügel über der Stadt aufsteigt: Die Kämpfe des Jahres 2001 hatten Besuchern des westmazedonischen Tetovo eine schaurige Kulisse geboten. Heute herrscht hier tiefster Friede. Der albanische Guerillaführer Ali Ahmeti hat sein Rebellenhauptquartier in den Shar-Bergen längst verlassen und leitet seinen Kampf nun von einem Büro in Tetovo aus. Seine Waffe ist heute der politische Disput.

Boykott des Parlaments

„Das Ohrid-Abkommen hat die Lage der Albaner klar verbessert“, meint Ahmeti. Zufrieden ist der einstige Untergrundkämpfer aber noch nicht. Seine Partei DUI boykottiert bereits seit Wochen die Arbeit im mazedonischen Parlament. Um weitere Rechte für die Albaner zu erkämpfen – und um zurück an die Macht zu gelangen.

2002 war Ahmeti als Juniorpartner in eine Regierung mit Mazedoniens Sozialdemokraten eingetreten. Doch 2006 gewannen Mazedoniens Nationalkonservative erneut die Wahlen und nahmen als Partner die zweitstärkste Albanerfraktion, die „Demokratische Partei“, ins Kabinett – sehr zum Unmut Ahmetis: „Wir sind die stärkste Albanerpartei. Damit haben wir Anspruch darauf, in der Regierung zu sitzen.“

Mazedoniens Premier Nikola Gruevski attestiert Ahmetis DUI „Mangel an demokratischer Reife“. Ansonsten spricht er lieber über die Reformfortschritte seines Landes auf dem Weg in die EU. Mazedonien gilt als Musterbeispiel für einen gelösten Konflikt auf dem Balkan. An neue Kämpfe will niemand mehr glauben. Auch nicht an Warnungen aus Belgrad, eine Unabhängigkeit des Kosovo könnte der erste Schritt zu einem „Großalbanien“ sein, dem auch Mazedoniens albanisch bewohnte Gebiete angehören würden.

Als Nato- und EU-Kandidat befürwortet Mazedonien den vom Westen unterstützten Ahtisaari-Plan für eine „überwachte Unabhängigkeit“ des Kosovo – zum Ärger des Nachbarn Serbien. „Natürlich wollen wir gute Beziehungen zu Belgrad“, meint Mazedoniens Präsident Branko Crvenkovski. „Aber 25 Prozent unserer Bevölkerung sind Albaner. Und die sind solidarisch mit den Kosovo-Albanern.“ Seit dem Ohrid-Abkommen hat die Meinung der Albaner in Mazedonien wieder mehr Bedeutung – doch Probleme bleiben.

„Niemand hat sich gemeldet“

Die 13-jährige Shpresa trifft beim Volleyballspielen auch mazedonische Kinder. Ansonsten sind die Kontakte durch den getrennten Unterricht beschränkt. „Man kann nicht albanische und mazedonische Kinder gemeinsam unterrichten. Die Mazedonier verstehen kein Albanisch“, meint Schuldirektor Agni Nexhipi. „Wir hatten Albanischkurse für die mazedonischen Kinder angeboten. Aber niemand hat sich gemeldet.“ Die englische Sprache, die Shpresa so liebt, ist für alle Kinder in Mazedoniens Grundschulen Pflichtfach – Albanisch hingegen ist keines.

CHRONOLOGIE. Der junge Staat Mazedonien

1991 gelingt der jugoslawischen Teilrepublik Mazedonien, ohne Kriegein unabhängiger Staat zu werden.
Während des Kosovo-Kriegs 1999
fliehen zehntausende Kosovo-Albaner nach Mazedonien. Das ethnische Gleichgewicht zwischen Mazedoniern und der albanischen Minderheit droht zu kippen.
2001.
Inspiriert vom erfolgreichen Untergrundkrieg der Kosovo-Albaner gegen Serbien starten albanische Rebellen in Mazedonien einen Aufstand. Einige hundert Menschen sterben bei den Kämpfen.
Durch das Abkommen von Ohrid kann der Aufstand beendet werden. Der Vertrag kommt auf Druck der EU zustande und sieht größere Selbstbestimmungsrechte für die Albaner Mazedoniens vor.
Im Dezember 2005 erhält Mazedonien den Status eines EU-Beitrittskandidaten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.05.2007)

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