Polen bringt AKW-Projekt ins Trudeln

Atomkraft. Kaczynski ließ den Vertragsabschluss über Vierländerprojekt in Litauen platzen.

KOPENHAGEN/VILNIUS. Polens Premier Jaroslaw Kaczynski hat ein gemeinsames baltisch-polnisches Atomkraftprojekt vorerst scheitern lassen. Er hätte am Freitag in Vilnius mit den Regierungschefs der drei baltischen Staaten ein Abkommen über den Bau eines neuen Nuklearreaktors im litauischen Ignalina unterzeichnen sollen, sagte seine Reise jedoch kurzfristig wegen „innenpolitischer Probleme“ ab. Der wahre Grund dürften Unstimmigkeiten über die Nutzen- und Kostenverteilung sein. Der polnische Wirtschaftsminister Piotr Wozniak versicherte dennoch, dass Warschau weiter am Projekt interessiert sei.

Mit dem geplanten Reaktor will Litauen Ersatz für das mit Sowjet-Technik gebaute AKW in Ignalina schaffen, dessen Schließung Brüssel zur Bedingung für Litauens EU-Aufnahme gemacht hatte. Der erste Meiler des einst größten Atomkraftwerks Europas ging 2004 vom Netz, der zweite muss bis 2009 abgekoppelt werden.

Streit um Aktienanteile

Am selben Standort soll nun ein modernes Kraftwerk entstehen. Die Kosten für einen 800 Megawatt-Reaktor werden auf 2,4 Milliarden Euro, die für ein doppelt so starkes Kraftwerk auf 4 Milliarden geschätzt – zu viel, als dass Litauen sie alleine tragen könnte. Daher lud die Regierung in Vilnius erst die baltischen Nachbarn ein, sich zu beteiligen, später meldete auch Polen sein Interesse an.

Als Gegengeschäft bot Warschau den Bau einer Starkstromleitung nach Litauen an, mit der die baltischen Staaten ins westeuropäische Stromnetz eingebunden werden sollen. Außer einer im Vorjahr in Betrieb genommenen Unterwasserleitung zwischen Estland und Finnland hängen die Balten bisher nur am russischen und weißrussischen Netz.

Sowohl in Lettland wie in Estland stieß die Beteiligung Polens auf wenig Begeisterung, da man die politischen und bürokratischen Probleme mit Warschau voraussah. Dass Litauen die ursprüngliche Verteilung der Anteile von je 25 Prozent so ändern will, dass man selbst 34 und die Partner je 22 Prozent der Aktien erhalten, sorgte für zusätzliche Probleme. Deshalb dürfte nun auch Polen Schwierigkeiten machen.

Dass man sich früher oder später doch noch einigt, ist dennoch anzunehmen. Der Wunsch, von russischen Lieferungen unabhängig zu werden, bestimmt die baltische wie die polnische Energiepolitik. Litauen, das 80 Prozent seines Strombedarfs durch Atomkraft deckt, fürchtet bereits die „Energielücke“, die entsteht, wenn das alte AKW eingemottet wird.

Daher hat Litauens Regierung in Brüssel vorgefühlt, ob man die Laufzeit des nach dem Tschernobyl-Typ gebauten Ignalina-2-Blocks verlängern könne. Brüssels Antwort war ein klares Nein: Die Abschaltung 2009 sei Teil des Aufnahme-Pakets gewesen, daran sei nicht zu rütteln, beschied der aus Lettland stammende Energiekommissar Andris Piebalgs seinem Nachbarn.

Regierungschefs beruhigen

Litauens Parlament hatte in der Vorwoche dem Bau des neuen AKW mit 105 gegen vier Stimmen zugestimmt. Es sei entscheidend, dass Litauen auch weiterhin Produzent und Exporteur von Atomenergie bleibe, unterstrich der sozialdemokratische Premier Gediminas Kirkilas.

Am Freitag beauftragten die baltischen Premiers ihre Energiekonzerne, die praktischen Vorarbeiten durchzuziehen und auch die potenziellen Partner in Warschau einzubeziehen. Sie wollen das vorläufige Scheitern nicht dramatisieren: „Wir sehen keine Hindernisse mehr gegen das Projekt“, sagte der lettische Regierungschef Aigars Kalvitis. Der Aktienanteil sei zweitrangig, wichtig sei, wie der produzierte Strom verteilt werde.

Litauens Premierminister Kirkilas räumte ein, dass Polen gegen die geplante Streuung der Anteile Vorbehalte habe. Er ist jedoch ebenfalls überzeugt, dass es noch zu einer Einigung kommen werde. Kaczynski teilte mit, dass er am 30.Juli nach Vilnius kommen wolle. Ob er dann zu einer Unterschrift unter das Abkommen bereit sei, verriet er nicht.

AKW IGNALINA

Das Kernkraftwerk Ignalina im Nordosten Litauens war mit zwei gewaltigen Reaktorblöcken einst das größte AKW Europas. Um der EU beitreten zu dürfen, musste Litauen jedoch die Stilllegung der beiden Reaktorblöcke sowjetischer Bauart zusagen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.07.2007)

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