Pakistan droht „Talibanisierung“

AP
  • Drucken

Staatschef Musharraf, auf den neuerlich ein Anschlag verübt wurde, gerät immer mehr unter den Druck der Islamisten.

Delhi/Islamabad (ag, imh). Pakistans Sicherheitskräfte lieferten Freitag ein konfuses Bild: Zunächst berichtete ein Geheimdienst-Mitarbeiter von einem neuerlichen Attentats-Versuch auf Präsident Pervez Musharraf. Auf dem Flughafen von Rawalpindi seien aus einer automatischen Waffe Schüsse auf die Präsidentenmaschine abgegeben worden. Nein, Anschlag habe es keinen gegeben, die Schüsse hätten rein gar nichts mit dem Präsidenten zu tun gehabt, dementierte das Militär, dessen Oberhaupt Musharraf nach wie vor ist, wenig später.

Der Vorfall ereignete sich jedenfalls zu einer Zeit, da die Lage rund um die besetzte "Rote Moschee" in der Hauptstadt Islamabad zu eskalieren drohte: "Wir werden das Märtyrertum annehmen, wir werden nicht aufgeben", gab sich Abdul Rashid Ghazi, der Führer der aufständischen Islamisten, unnachgiebig.

Die Armee hat den Druck erhöht und den Gebäudekomplex, der auch eine große Koranschule umfasst, mit Maschinengewehren und Mörsern beschossen. Laut den Extremisten wurden 30 Schülerinnen getötet. Wie viele von den Bewaffneten in der Schule festgehalten werden, ist unklar; es dürften aber mindestens 850 sein.

Während ganz Pakistan seit Tagen gebannt auf die "Rote Moschee" blickt, wurde zwei Selbstmordanschlägen im Nordwesten Pakistans kaum Beachtung geschenkt. Ein Attentäter hatte Mittwoch bei einem Kontrollpunkt in der Stadt Mir Ali sein mit Sprengstoff beladenes Auto in einen Truppentransporter gelenkt; dabei kamen neben ihm elf weitere Personen ums Leben, sechs Soldaten und fünf Zivilisten. Freitag wurden bei einem weiteren Selbstmordanschlag vier Soldaten getötet.

Erstmals Selbstmordanschläge

Obwohl es auch in den Stammesgebieten Proteste gegen die Belagerung der "Roten Moschee" durch die Armee gibt, wurde dieser Anschlag nicht als Teil davon gesehen. In der Vergangenheit ist es vereinzelt zu Anschlägen gegen militärische Einrichtungen gekommen. Aber es ist das erste Mal, dass ein Attentäter die Armee auf diese Weise aufs Korn nimmt.

Selbstmordanschläge könnten Teil einer Kampfform pakistanischer Taliban werden, wie sie sich _ ausgehend von Irak _ auch in Afghanistan ausbreitet. Dies ist umso plausibler, als die meisten afghanischen Suizid-Bomber in Pakistan ausgebildet werden. Und je mehr das Regime von Präsident Musharraf mit jenem seines afghanischen Kollegen Hamid Karzai gleichgesetzt wird _ Verbündeter der USA, Feind des Islam _ desto weniger Sinn ergibt es für die Hintermänner der Suizid-Missionen, den "Heiligen Krieg" lediglich im Nachbarland auszufechten.

Stämme verlieren Kontrolle

Es ist signifikant, dass der erste Anschlag in Nord-Waziristan verübt wurde, jener Stammesregion, die der Staat im vergangenen Herbst den lokalen Stämmen und Taliban überließ, nachdem diese garantiert hatten, dass sie die al-Qaida-Verbände unter Kontrolle behalten würden. Dies ist nicht geschehen. Kämpfe zwischen Stammesvertretern und Taliban haben zudem kürzlich gezeigt, dass es die Taliban sind, die sich stark genug fühlen, nicht nur die Autorität des Staates, sondern auch die der traditionellen Stammesmacht herauszufordern.

Ein Bericht des Innenministeriums hat ein düsteres Bild über das Eindringen der Taliban in immer mehr Orte und Institutionen der Nordwest-Grenzprovinz gezeichnet. Anfang der Woche hatte Musharraf übrigens eine außerordentliche Kabinettssitzung einberufen. Thema: Die zunehmende "Talibanisierung" des Landes.

LEXIKON.

Die Stammesgebiete im Nordwesten Pakistans werden von den Paschtunen dominiert. Sie siedeln auch jenseits der Grenze, in Afghanistan. Der Staat hat in den Gebieten kaum Autorität, was die Ausbreitung radikaler-islamischer Kräfte begünstigte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.07.2007)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.