Links-Nostalgie: Sehnsucht nach Sozialismus

(c) AP (Fritz Reiss)
  • Drucken

Fast die Hälfte der Deutschen hält den Sozialismus für eine gute Idee, die bisher nur schlecht umgesetzt wurde.

Karl Marx hätte seine Freude. 124 Jahre nach seinem Tod und 18 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer sehnt sich Deutschland wieder nach Sozialismus. Die Wirtschaft wächst, die Arbeitslosigkeit sinkt – und trotzdem blüht die Kapitalismuskritik auf.

Es ist ein nebeliges Gefühl der Ungerechtigkeit, das sich da in deutschen Landen ausbreitet. Kaum jemand, der über das Wirtschaftssystem klagt, wirft klassische marxistische Argumente in die Schlacht. Der anschwellende Unmut ist moralisch gefärbt, nicht wissenschaftlich grundiert, sozusagen vor-marxistisch. Um sich über Millionengagen für Manager und stagnierende Löhne zu erregen, muss man nicht „Das Kapital“ gelesen haben.

Eine Idee aus Deutschland

Diese Art empörter Unwissenheit ist, die sich neulich in einem bemerkenswerten Ergebnis einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach niederschlug: 45 Prozent der Westdeutschen und 57 Prozent der Ostdeutschen halten den Sozialismus für eine „gute Idee“, die bisher nur schlecht umgesetzt wurde. Die Allensbacher Meinungsforscher fragen seit 1991 regelmäßig, wie es die Bürger der Bundesrepublik mit dem Sozialismus halten. Noch nie war die Zustimmungsrate so hoch wie jetzt, vor allem nicht im Westen.

„Der Sozialismus ist eine deutsche Idee, auch wenn das manche Franzosen anders sehen. Die Deutschen sind für den sozialistischen Grundgedanken anfällig“, erläutert Thomas Petersson, der die Allensbacher Umfrage geleitet hat und nun selber staunt.

Wie in einer Monstranz hat das Idealbild des Sozialismus überlebt, abgekapselt von der – verblassenden – Erinnerung an die DDR-Diktatur. „Viele sagen, damals in der DDR, das sei gar kein richtiger Sozialismus gewesen. Da sei bloß der gute Name missbraucht worden“, erklärt Peterson.

Dass das Scheitern sozialistischer Experimente zwangsläufig in der Kollektivierung des Eigentums und in zentraler staatlicher Planung angelegt ist, hat sich offenbar noch nicht allzu weit herumgesprochen. „Vielen Deutschen schwebt immer noch ein fürsorglicher Staat vor, der Geld einsammelt und dann so verteilt, dass alle möglichst gleich viel davon bekommen“, so Peterson.

Der deutsche Boden ist fruchtbar für linke Verführer. Und es gibt einen, der entschlossen ist, reiche Ernte einzufahren: Oskar Lafontaine, einst Chef der SPD und jetzt am Steuer der Linkspartei. Bei elf bis 14 Prozent liegt die neue Hybrid-Organisation, die aus der ostdeutschen post-kommunistischen PDS und der westdeutschen „Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit“ (WASG), entstanden ist.

Lafontaine spitzt zu, vereinfacht, drischt ein. Der ostdeutsche Star im linken Tandem Gregor Gysi, auch kein Verächter polemischer Pointen, wirkt wie ein differenzierender Hochschulprofessor neben ihm. Nach seinem spektakulären Rücktritt als Finanzminister und SPD-Chef 1999 hatte Lafontaine lange aus der Frührente öffentlich über seinen Intimfeind, den damaligen SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder, geätzt. 2005 stieg er wieder in den Ring. Er ritt auf der Welle der Massenproteste gegen Hartz IV, die Kürzung des Langzeitarbeitslosengelds, schürte sie und landete im Bundestag.

Schröders Arbeitsmarktreformen hatten Raum für eine neue Opposition links der Mitte geschaffen. Mittlerweile hat es den Anschein, als sei die ganze Republik etwas nach links gerückt. Von „Mindestlohn“, von einer „Kontrolle der Heuschrecken-Hedgefonds“, ist quer durch alle Parteien die Rede. Ihre neoliberalen Anteile hat CDU-Bundeskanzlerin Angela Merkel nach ihrem Zittersieg bei der Wahl schnell kaschiert.

„SPD verriet ihre linke Herkunft“

Schon nach dem Urnengang hätte es eine linke Mehrheit gegeben, Grüne und SPD sträubten sich. Doch für viele ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Linkspartei in einer Bundesregierung zum Zug kommt. Vielen Genossen war der pragmatische Kurs, dieses Kuscheln mit dem Kapitalismus, ohnehin suspekt. 40 Prozent der sozialdemokratischen Wähler sind laut der Allensbacher Umfrage der Ansicht, dass die SPD ihre linke Herkunft verraten haben.

Sozialismus ist kein Unwort mehr. Lafontaine propagiert ihn offen, zitiert Jean Jaurès, behauptet, dass der Kapitalismus den Krieg in sich trage wie die Wolke den Regen. „Freiheit durch Sozialismus“, skandierte der Ex-SPD-Chef am Gründungstag der Linken. Wahre Freiheit, so führte er gediegener in einem Essay für die „FAZ“ aus, könne es nur im Gegenentwurf zum Kapitalismus geben: im demokratischen Sozialismus.

Immer mehr Deutsche glauben ihm.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.08.2007)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.