Planspiele mit dem Feuer

SZENARIEN. Welches Schicksal erwartet den Irak: Anarchie, Teilung, ein dauerhaftes US-Protektorat? Welche Pläne gibt es für die politische Zukunft Mesopotamiens? Lehren aus der Geschichte.

Am Donnerstag wird Präsident George W. Bush in einer Rede die Richtung für die Zukunft im Irak vorgeben. Die „New York Times“ zitiert Bush-Strategen, die diese Rede mit der Ansprache von Präsident Richard Nixon vom 23. Jänner 1973 vergleichen, als Nixon – von einem kriegsmüden US-Kongress unter Druck gesetzt – einen „ehrenhaften Frieden“ für Vietnam und Südostasien ankündigte.

Fast 35 Jahre danach ist nun in Washington in einem anderen Krieg nichts mehr von der „erfolgreichen Mission“ zu hören, sondern es wird über einen vorsichtigen Rückzug und eine „nachhaltige“ Truppenstärke debattiert. Welche Lehren lassen sich aus der Geschichte ziehen, welche Modelle für die Zukunft des Irak gibt es?

1Modell Belgien: Föderalismus light

Dieses optimistische Szenario stammt vom deutschen Nahost-Experten Volker Perthes: Der Irak bleibt ein Bundesstaat, es bilden sich jedoch drei autonome Provinzen mit der Hauptstadt Bagdad heraus: Schiistan, Sunnistan und Kurdistan. Durch diese „belgische Lösung“ soll ein politischer Ausgleich zwischen den zwei verfeindeten Gruppen der Sunniten und Schiiten möglich sein. Spannungen zwischen den drei ethno-religiösen Gruppen bleiben (so wie zwischen Flamen und Wallonen in Belgien, sind in einem irakischen Föderalstaat Irak aber leichter zu managen.

2Modell Bosnien:
„Sanfte“ Teilung

Dieses Modell sieht noch deutlich mehr Autonomie für die Provinzen vor. Der gemeinsame Staat wäre schwach.

Der Pentagon-Korrespondent der „New York Times“ konstatierte unlängst eine „Bosnien-Nostalgie“, die in Washington Einzug halte. Vor allem demokratische Politiker (siehe Seite 3) verweisen gerne darauf, dass der Bosnien-Konflikt 1995 in Dayton beendet werden konnte. Die Idee der „sanften Teilung“ stammt von Edward P. Joseph und Michael E. O'Hanlon, die dieses Konzept für die Brookings Institution entwickelt haben.

Die beiden verweisen in ihrem Papier „The Case for Soft Partition in Iraq“ auf eine Umfrage, die im Auftrag des US-Senders ABC im Irak durchgeführt wurde: 59 Prozent der irakischen Schiiten wollen demnach eine Teilung des Landes. Im Februar 2004 meinten noch 79 Prozent der Iraker, dass das Land geeint bleiben sollte; diese Zahl ist bis März 2007 auf 58 Prozent gesunken. Wie in Jugoslawien, so die Autoren, seien die Wahlen kein Meilenstein auf dem Weg zur Demokratie gewesen, sonderneine ethno-religiöse Mehrheitenfeststellung, bei denen die verschiedenen Gruppen en bloc und streng nach Zugehörigkeit zur jeweiligen religiösen Gruppe gewählt haben.

Das Modell im Detail: Der Irak würde in drei autonome Provinzen geteilt, mit Bagdad als Hauptstadt, den Irak würde es de facto aber nur mehr am Papier geben, alle wichtigen Entscheidungen würden von den Provinzregierungen getroffen. Doch Experten warnen vor dem Bosnien-Vergleich: 1995 gab es in Dayton Verhandlungspartner, und Bosnien war zu der Zeit de facto geteilt. „Der Krieg hatte bereits die Karte vorgegeben, auf denen die Politiker die Grenzen nur mehr mit Tinte nachzeichnen mussten“, so die „New York Times“.

Eine derartige Karte gibt es im Irak (noch) nicht: Bis zu fünf Millionen Iraker könnten in „ethnischen Säuberungen“ aus ihren Häusern und Wohnungen vertrieben werden – rund vier Millionen haben schon ihre Häuser verlassen müssen. Joost Hilterman von der „International Crisis Group“ meint: „Die geografischen Grenzen der Provinzen würden nicht auf eine Teilung hindeuten.“ Der Irak würde bei einer Teilung nicht in zwei oder drei Teile zerbrechen, sondern es würde ein „totaler Kollaps“ des Staates drohen.

3Modell Somalia: Anarchie, Totalkollaps

Dieses Szenario träte vermutlich ein, wenn die USA überstürzt abzögen und „Warlords“ um die Macht kämpften. Während ein „Bosnien“-Modell für Washington verlockend klingt (der Krieg endete mit einem Waffenstillstand, kein einziger US-Soldat verlor sein Leben), ruft eine Assoziation mit Somalia dunkle Erinnerungen wach: Die USA griffen 1992 in einen Bürgerkrieg zwischen Somalischen Clans ein, um eine humanitäre Katastrophe abzuwenden. Im Oktober 1993 scheiterte eine US-Militäraktion, ein Blackhawk-Hubschrauber wurde abgeschossen, im Fernsehen war zu sehen, wie der Mob im Oktober 1993 die Leiche eines US-Soldaten durch die Straßen Mogadischus schleifte.

Daraufhin beschloss der damalige Präsident Bill Clinton, die US-Soldaten abzuziehen. Seither haben im Somalia Milizen das Sagen, es herrscht Anarchie. In Bagdad werden Parallelen zu Mogadischu sichtbar: Die schiitischen und sunnitischen Milizen haben an Macht gewonnen, im Süden bekriegen sich mittlerweile nicht nur Schiiten und Sunniten, sondern auch Schiiten untereinander.

4Modell Südkorea: Gekommen, geblieben

Die US-Armee bleibt, und zwar lang – wie in Südkorea. Dort sind 54 Jahre nach dem Ende des Korea-Krieges immer noch über 30.000 US-Soldaten stationiert. Die US-Präsenz auf der koreanischen Halbinsel wird aller Voraussicht nach weiter andauern: Eine Lösung des Konflikts zwischen den USA und Nordkorea ist zwar seit dem Einlenken Pjöngjangs in der Atomfrage näher gerückt, eine Wiedervereinigung zwischen beiden Koreas ist aber – zumindest kurzfristig – nicht absehbar.

5Modell Vietnam:

Niederlage, Regionalkrieg

Die USA zieht erst nach Jahren des Krieges ab, eine Ordnungsmacht übernimmt das Kommando. Das Problem im Irak: Es gibt keine Ordnungsmacht wie die Nordvietnamesen. Von einer Parallele zu Vietnam wollte das Weiße Haus von Anfang an nichts wissen. Zu bitter ist die Erinnerung an die damalige Schmach des Abzugs.

Ende August zog Bush selbst einen Irak-Vietnam-Vergleich: Nach dem Rückzug der USA aus Vietnam seien dort hunderttausende Menschen getötet worden. Eine ähnliche Katastrophe würde sich im Irak ereignen, wenn die USA nicht standhaft blieben. Außerdem, so die Angst, die über allen Szenarien schwebt, könnten Nachbarländer in den Konflikt gezogen werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.09.2007)

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