Neuwahl: Moskaus langer Arm in die Ukraine

(c) EPA (Sergey Dolzhenko)
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Russland nahm mit offenen Drohungen Einfluss auf die ukrainischen Parlamentswahlen vom Sonntag: Mit einer westlichen Regierung würden die Gaspreise steigen.

Kiew. Eigentlich wollte Irina Kudiarzewa gar nicht zur Wahl gehen. „Es ist so herrliches Wetter, eine gute Zeit, um in die Pilze zu fahren.“ Dann entschied sie sich aber doch, in Kiew zu bleiben. „Viele Jahrzehnte durfte ich nicht wählen, nun will ich mir das nicht entgehen lassen“, erklärt die alte Dame, die sich herausgeputzt hat und trotz strahlendem Sonnenschein und über 20 Grad Wärme ihren guten Pelzmantel übergezogen hat. Ihr Wahllokal liegt in einer Schule in der Uliza Leontowucha. In der Aula sind Bänke aufgestellt, worauf die Kandidatenlisten der über zwanzig Parteien aufliegen. Die würdigt die alte Dame aber keines Blickes und trippelt zielstrebig auf die Wahlkabine zu. Sie weiß, was sie wählen wird: „Unsere Ukraine“, die Partei des Präsidenten Viktor Juschtschenko.

Er habe die Ukraine in die Freiheit geführt, erklärt Irina Kudiarzewa. „Sehen sie ihn sich an, dafür hat er schwer bezahlt“, sagt sie. Das ist es, was für die alte Frau zählt, nicht die Programme der verschiedenen Parteien.

Im Wahlkampf hat Juschtschenko immer wieder versucht, die Karte des „Mythos Orangene Revolution“ zu spielen. Doch auch er weiß, dass sie bei den meisten Leuten nicht mehr sticht. Die Wahlen werden auf dem Feld der Realpolitik gewonnen. Und da in der Ukraine Politik und Wirtschaft noch immer sehr eng verbunden sind, fuhr der Präsident auch in den Osten der Ukraine, wo die steinreichen Oligarchen ihre Imperien haben. Die nämlich sind beunruhigt durch eine Äußerung von Russlands Botschafter in Kiew, Viktor Tschernomyrdin.

Der Diplomat hat äußerst gute Beziehungen zum Energieriesen Gazprom und hatte in den Tagen vor der Wahl erkennen lassen, dass die Gaspreise für die Ukraine schneller steigen könnten als erwartet. Alles hänge davon ab, welchen Kurs die neue Regierung einschlagen werde, so Tschernomyrdin. Strebe Kiew eine Mitgliedschaft in der Nato an und suche weiter die Aufnahme in der Europäischen Union, habe das sicherlich negative Folgen, orakelte Tschernomyrdin.

Solche Worte rufen in der Ukraine Erinnerungen an das Jahr 2006 wach, als Kiew sich schon einmal im Streit mit Russland befand. Damals drosselte Gazprom die Lieferungen und presste dem einstigen Bruderstaat einen höheren Preis für die gelieferte Energie ab.

Hilfe für Janukowitsch

Diese kaum versteckten Drohungen sollten wohl auch die Wahlchancen des eher pro-russisch eingestellten Premierminister Viktor Janukowitsch erhöhen. Der hatte im Wahlkampf zwar immer wieder versucht, nicht in den Geruch zu kommen, an der Leine Moskaus zu liegen, doch seine guten Beziehungen zum Kreml sind ein offenes Geheimnis. Allein die Besetzung vieler Staatsämter durch Russland-treue Gefolgsleute spricht Bände. Und dass der Premier die Ukraine noch immer wie eine Art großen Selbstbedienungsladen betrachtet, zeigte in diesen Tagen auch der Einstieg Rinat Achmatows beim größten Energiekonzern des Landes, DniproEnergo. Achmatow gilt als der reichste Mann der Ukraine und ist der Hauptsponsor von Janukowtisch.

Der Premierminister kommt in Argumentationsnotstand. Schließlich hatte er den Kampf gegen die Korruption ganz oben auf die Liste der Wahlversprechen geschrieben. In den letzten Tagen bröckelten vielleicht auch deshalb seine Umfragewerte deutlich ab.

Im Vergleich dazu holte seine Rivalin Julia Timoschenko auf, sodass beide in den letzten Umfragen nur noch durch wenige Prozentpunkte getrennt waren. Dieser Trend gab dem gesamten orangenen Lager neue Hoffnung, denn sie und Präsident Juschtschenko hatten in den letzten Tagen vor der Wahl immer wieder angedeutet, zusammen eine neue Regierung bilden zu wollen.

„Die werden sich zuerst streiten und dann zusammenraufen“, lautet die Prognose von Irina Kudiarzewa. Die alte Dame ist zwar keine Anhängerin von Julia Timoschenko, „aber sie ist immer noch besser als Viktor Janukowitsch, der Mann aus Moskau“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.10.2007)

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