Ägypten: „Das Regime bereitet den Boden für radikale Trends“

(c) AP (Remy de la Mauviniere)
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Präsident Mubarak zieht die Daumenschrauben an.

KAIRO. Ägyptens Präsident Hosni Mubarak ist nervös geworden. Sein Regime zieht die Daumenschrauben an. Warum? Weil er die Machtübergabe an seinen Sohn Gamal vorbereiten will, raunt man sich in Ägypten zu.

Ins Visier sind vor allem Intellektuelle und Islamisten geraten. Sieben Journalisten wurden in den vergangenen Monaten zu Gefängnisstrafen verurteilt.

Jetzt steht wieder einer vor Gericht. Ibrahim Eissa, Chefredakteur der Tageszeitung „Al-Dustour“. Unter der Anklage, falsche Gerüchte über den Gesundheitszustand des 79-jährigen Präsidenten verbreitet zu haben. In Titelgeschichten hatte das Blatt im Sommer davon berichtet, dass Mubarak ernsthaft krank sei und regelmäßig ins Koma falle. Mubarak war in dieser Zeit nicht in der Öffentlichkeit erschienen, hatte dann aber versucht, mit kurzen Auftritten die Gerüchte zu zerstreuen.

Muslimbrüder unter Druck

Neben den Journalisten nehmen die Behörden Muslimbrüder an die Kandare. Die größte Oppositionsgruppe versucht den „islamistischen Marsch durch die Institutionen“ und besetzt ein Fünftel der Parlamentssitze in Kairo. Als unabhängige Abgeordnete, denn als Partei sind die Muslimbrüder offiziell verboten. Ein zweideutiger Status, der dem Regime dazu dient, bei Bedarf die Daumenschrauben anzulegen.

Fünf der zwölf Führungsmitglieder der Muslimbruderschaft waren in den letzten Monaten festgenommen worden. Fast 40 ihrer Financiers müssen sich vor einem Militärgericht verantworten. Über 600 Mitglieder waren im Laufe des Jahres nach Angaben der Organisation verhaftet worden, über 160 sollen sich noch in Haft befinden.

Warum das Ganze, fragt der Vize-Chef der Muslimbrüder Muhammad Habib, der seine Organisation als moderaten Ableger des politischen Islam charakterisiert. „Wir sind es, die junge Menschen davon abhalten, sich dem gewalttätigen radikalen Islamisten anzuschließen“, argumentiert er.

Es sind vor allem die jüngeren Kader, die immer wieder verhaftet und wenige Monate später freigelassen werden. Einer ist der 27-jährige Mahmoud Abdel Monem, der unter der Adresse „Ana Ikhwan – ich bin ein Bruder.com“ im Internet bloggt.

Er empfängt in einem verstaubten Büro im Zentrum Kairos, in dem sein Laptop als einziges Inventar funktionstüchtig zu sein scheint. „Ich will anderen einfach einmal zeigen, dass ich als junger Muslimbruder nicht wie ein Ziegelstein bin, sondern selbst Träume, Ideen und Gefühle habe, von denen ich beeinflusst werde“, begründet er seine Initiative.

In der Muslimbruderschaft ist in den letzten Tagen ein ernsthafter interner Richtungsstreit ausgebrochen. Begonnen hat alles mit dem ersten Versuch der Gruppierung, sich ein Programm zu geben. Mitte des Monats veröffentlichte eine Gruppe von Intellektuellen und Politikern der Muslimbruderschaft einen Entwurf, der allerdings bisher nicht von der Führung der Gruppe abgesegnet wurde.

Ein Teil der Gruppierung scheint sich auch unter dem ständigen Druck des Staates auf ultrakonservative islamistische Positionen zurückzuziehen. Das Dokument stellt die Scharia, das islamische Recht, in den Mittelpunkt und propagiert eine Vermischung von Staat und Religion. Ein Rat religiöser Rechtsgelehrter soll danach sogar das Recht haben, ähnlich wie im Iran, gegen Gesetzesvorlagen ein Veto einzulegen. Der Entwurf diskriminiert auch Nichtmuslime und Frauen, denen das Recht abgesprochen wird, hohe Positionen im Staat einzunehmen.

Islamistischer Richtungsstreit

Doch der Entwurf stieß schnell auf Kritik in den eigenen Reihen, als ein Versuch sich vom Konzept einer Demokratie abzuwenden. Niemand Geringerer als Essam Erian, Vorsitzender des politischen Büros der Muslimbrüder und vor kurzem aus dem Gefängnis freigelassen, forderte, dass hohe Staatsämter einzig und allein durch Wahlen bestimmt werden sollten. Höhepunkt seines Dissenses war seine Forderung, dass die Muslimbrüder, wenn sie an die Macht kämen, Israel anerkennen sollten.

Viele von Erians Aussagen finden Resonanz unter der jüngeren Generation der Muslimbrüder. „Die Scharia ist meine Ideologie von der ich lerne, aber Ägypten sollte einzig und allein als ziviler Staat gemäß der Verfassung regiert werden. Die steht über allem“, meint der junge Blogger Abdel Monem. Auch islamische Kleiderordnungen will er nicht mit Gewalt durchsetzen. „Das Kopftuch ist eigentlich islamisch obligatorisch für jede Frau, dass heißt aber nicht, dass ich das einer Frau zwangsweise vorschreiben kann. Das ist eine Frage ihrer persönlichen Beziehung zu Gott“, meint Abdel Monem dazu.

Und welches gegenwärtige politische System ihm als Vorbild dient? „Saudiarabien ist ein tyrannischer Staat im Namen des Islam.“ Ihm schwebt vielmehr das türkische Modell vor, in dem die Islamisten als zivile Partei neben anderen agieren.

Wie ein reifer Apfel

Noch ist offen, wie der Richtungsstreit unter den Muslimbrüdern ausgehen wird. Doch Amr Hamzawi von der Denkfabrik Carnegie Stiftung ist skeptisch. „Die Muslimbrüder sehen sich einem repressiven Staat gegenüber, der ihre politische Teilnahme einschränkt“, beschreibt er die Lage. „In dieser Atmosphäre ist es unwahrscheinlich, dass sich nichtmilitante religiöse Oppositionsbewegungen voll und ganz demokratischen Prinzipien verschreiben.“

Der säkulare Journalist Eissa meint, dass der Westen einen Fehler begehe, sich mit repressiven Regimen gegen Islamisten zu verbünden. „Die Wahrheit ist, dass diese Regime den Boden für radikale Trends bereiten“, sagt er. „Wie einen reifen Apfel wird das ägyptische Regime das Land den Islamisten übergeben“, warnt er.

STAATSBESUCH

Bundespräsident Heinz Fischer besucht von Sonntag, 21., bis Dienstag, 23. Oktober, Ägypten. Am Montag trifft Fischer mit seinem Amtskollegen Hosni Mubarak, mit Ministerpräsident Ahmed Nazif und dem Generalsekretär der Arabischen Liga Amr Moussa zusammen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.10.2007)

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