Kongo: Kein bisschen Frieden

Die „Ärzte ohne Grenzen“ decken auf: Jedes Jahr werden im Osten Kongos tausende Frauen von Soldaten vergewaltigt.

WIEN/BUNIA. Ein kleines Mädchen, acht Jahre alt, kommt mit Schmerzen im Unterleib ins Spital. Die Ärzte schöpfen Verdacht. Mit nüchternem Blick decken sie den wahren Grund der Beschwerden auf: Die Gebärmutter des Mädchens ist zerrissen. Soldaten haben ihr einen Zaunpfahl in den Leib gerammt. Das Mädchen wird operiert. In ihrem Bauchraum stoßen die Chirurgen auf Splitter und Schmutz.

Ein Fall unter Tausenden. Eva Badelt erlebte das Grauen als Normalität. Vor zwei Jahren kam die Österreicherin über die Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ als Hebamme nach Bunia, Hauptstadt des Bezirks Ituri, Ost-Kongo. In ein Unfallspital für die Opfer des Bürgerkriegs, auch für vergewaltigte Frauen. „Es war erschreckend, wie schnell sich dieses Angebot herumgesprochen hat. Am Anfang kamen jede Woche 60 Frauen“, erinnert sich Badelt. Auch heute suchen noch bis zu 30 Opfer pro Woche hier Zuflucht.

Denn die Leiden der Zivilbevölkerung gehen in Ituri und der Nachbarprovinz Nord-Kivu weiter. Auch ein Jahr nach den ersten demokratischen Wahlen seit 1960, dem Ende der belgischen Kolonialherrschaft, ist das Herz Afrikas ein Herz der Finsternis geblieben. In dem von Tropenwälder überwucherten Bergland an der Grenze zu Ruanda und Uganda kämpfen Tutsis gegen Hutus, Regierungstruppen gegen Rebellen. Vordergründig geht es um Stammesfehden. Dahinter steckt die Gier nach Gold, Kupfer und Diamanten, die es hier reichlich gibt.

Zum chronischen Krisengebiet wurde der Ost-Kongo 1994, als hunderttausende Hutus aus Ruanda vor den Tutsi-Milizen hierher flüchteten. Das einzige, was sie mitbrachten, war ihr Konflikt. 1996 rebellierte Laurent-Desiré Kabila gegen den Langzeit-Diktator Joseph-Desiré Mobutu. Erst Kabilas Sohn Joseph, in 2006 in freien Wahlen als Präsident bestätigt, scheint sich ernsthaft um Frieden zu bemühen. Doch wieder stürzt ein Warlord, der abtrünnige General Nkunda, von Nord-Kivu aus das Land ins Chaos.

Dort hat Karin Girkinger neun Monate als Ärztin im Busch gearbeitet. In Tagesmärschen von drei bis sechs Tagen kamen die Frauen, oft hochschwanger, zu ihr, während der Regenzeit auch knietief durch den Schlamm. In langen Protokollen erzählten sie ihre Geschichten, für eine spätere Anzeige, zu der es wohl nie kommen wird. Nur die Zugehörigkeit ihrer Peiniger verrieten sie nicht, aus Angst vor Rache. Fast immer ist der Aggressor ein „unbekannter Soldat“. Nur so viel weiß man: Die Regierungstruppen, die Frieden bringen sollen, plündern und vergewaltigen mehr als alle anderen. Denn sie werden, anders als die Milizen der reichen Stammesfürsten, schlecht entlohnt.

Sexuelle Gewalt ist im Kongo eine Waffe im Kampf und eine Demonstration der Macht. Schon Diktator Mobutu (1965-1997) schmückte sich mit dem Beinamen „der mächtige Hahn, der jede Henne bespringt“.

Hebamme Babelt erzählt von zwölfjährigen Kindersoldaten, die neunjährige Mädchen vergewaltigen. Und von einer Frau, die am Tag nach ihrer Entbindung ohne ihr gewaltsam gezeugtes Kind aus dem Spital verschwand. Nach fünf Tagen kam sie zurück. Ein glückliches Ende? Die Frau hatte die Schwangerschaft geheim gehalten, um nicht von ihrem Mann verstoßen zu werden. Sie entschied sich für ihr Kind und brach dadurch mit allem: mit ihrem Mann, mit ihrer Familie – und mit den Machtstrukturen eines Landes, in dem der Frieden ferner erscheint denn je.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.10.2007)

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