Pakistan: Musharrafs zweiter Staatsstreich

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Ausnahmezustand in Pakistan. Präsident Pervez Musharraf lässt 500 Oppositionelle verhaften. Am Montag könnte es zum Showdown kommen: Anwälte kündigten Proteste an.

NEW DELHI/ISLAMABAD. Nach Verhängung des Ausnahmezustands überzog Pakistans Machthaber Pervez Musharraf sein Land am Sonntag mit einer Verhaftungswelle: Mindestens 500 Regimegegner wurden festgenommen. Allein in Lahore verhaftete die Polizei rund 70 Menschenrechtsaktivisten, darunter Ärzte, Architekten, Künstler und Anwälte, die sich im Büro der „Pakistan Human Rights Commission“ versammelt hatten. Journalisten, die die Aktion verfolgten, wurden mit Stockhieben vertrieben.

Doch Pakistans Zivilgesellschaft will nicht klein beigeben. Der Anwaltsverband hat für den heutigen Montag zu Straßenprotesten im ganzen Land aufgerufen.

Präsident Musharraf hatte am Samstag das Notrecht über Pakistan verhängt und die Verfassung suspendiert. Die Signale der privaten Fernsehkanäle wurden abgestellt und Telefonleitungen in der Hauptstadt Islamabad gekappt. Soldaten gingen rund um das Gebäude des Obersten Gerichts in Stellung. Gerichtspräsident Iftikhar Chaudhry wurde abgesetzt und unter Hausarrest gestellt.

Kurz vor Mitternacht wurde ein Nachfolger Chaudhrys vereidigt, und mit ihm weitere fünf Richter. Die übrigen elf Richter sollen sich geweigert haben, den Amtseid abzulegen. Der Präsident der Anwaltskammer und weitere Rechtsanwälte wurden aus ihren Wohnungen geholt und verhaftet, unter Protestrufen ihrer Anhänger und Angehörigen. Noch am Samstagabend traten eine Reihe von Sonderdekreten in Kraft, darunter das Verbot politischer Versammlungen sowie ein Verhaltenskodex für die Medien. Danach ist es verboten, Regierung oder Armee zu „diffamieren“, über Selbstmordattentate zu berichten und Bilder von Terroristen zu veröffentlichen.

General Musharraf rechtfertigte in einer Fernsehansprache die Verhängung des Notrechts damit, dass Pakistan „am Rand der Destabilisierung“ stehe. „Nichthandeln wäre Selbstmord für Pakistan, und ich kann es nicht zulassen, dass Pakistan Selbstmord begeht, erklärte der Militärmachthaber. Er sprach von einer „zunehmenden Lähmung der Regierung durch Extremismus und die Eigenmächtigkeit der pakistanischen Justiz“.

Parlamentswahlen „ausgesetzt“

Oppositionsführerin Benazir Bhutto kehrte noch am Samstagabend nach Pakistan zurück, nur zwei Tage, nachdem sie überraschend nach Dubai geflogen war. Bei ihrer Ankunft nannte sie die Einführung des „Kriegsrechts“ den „schwärzesten Tag in der Geschichte des Landes“.

Sie kündigte Gespräche mit anderen Parteien an, um für die Wiederherstellung der Demokratie zu kämpfen. Bei einer Pressekonferenz sprach Premier Shaukat Aziz von der „Möglichkeit“, die für Jänner geplanten Parlamentswahlen „temporär auszusetzen“. Damit ist auch die Kooperation zwischen Bhutto und Musharraf beendet, noch bevor sie richtig begonnen hat. Der Präsident hatte der Oppositionsführerin die Rückkehr aus dem Exil gestattet und sich dafür Unterstützung erhofft. Es wird nun auch nicht mehr erwartet, dass Musharraf seine Uniform, wie angekündigt, Mitte November an den Nagel hängt.

Oberstes Gericht enthauptet

Musharraf verspricht sich von Sondergesetzen eine bessere Terrorbekämpfung. Beobachter zweifeln jedoch, dass sie den Kampf gegen die Islamisten im Nordwesten des Landes erleichtern werden. Die Armee verfügten schon bisher über freien Aktionsraum. Die Zeitung „Dawn“ bezeichnete Musharrafs Vorgehen als „zweiten Putsch“, schärfer als 1999. Beim ersten Staatsstreich habe Musharraf wenigstens die Unabhängigkeit der Justiz und die Pressefreiheit respektiert. Auch andere Kommentatoren sehen im Vorgehen gegen das Oberste Gericht den Beweis, dass es ihm nicht um Anti-Terrorkampf geht, sondern darum, seine Haut zu retten.

Am Dienstag sollte das Gericht sein Urteil darüber abgeben, ob die Wiederwahl Musharrafs am 6.Oktober verfassungskonform war. Viele vermuten, dass ein negatives Urteil zu erwarten war, dem der Präsident zuvorkommen wollte. Leitartikel Seite 31

FOLGEN DES NOTSTANDS

Mit dem Ausnahmezustand ist Artikel 9 der pakistanischen Verfassung ausgesetzt. Das heißt: •Personen können ohne Anklage verhaftet werden.

•Die Versammlungsfreiheit ist aufgehoben.

•Freiheit der Bewegung und Niederlassung sowie Eigentumsrechte sind eingeschränkt.

•Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist ausgesetzt. Wer Mitglieder der Regierung oder der Streitkräfte lächerlich macht oder Bilder von Selbstmordattentätern zeigt, ist mit einer dreijährigen Haftstrafe bedroht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.11.2007)

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