Georgien: „Mischa, die Rosen sind verwelkt“

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Regimegegner Okruashwili heizt Massenproteste in Tiflis aus Münchner Exil an.

tiflis/münchen (ag., gau). Der georgische Polit-Krimi wird zunehmend spannend. Ein regimekritischer TV-Sender übertrug die aktuelle Episode live aus München. Irakli Okruashwili (33), Ex-Verteidigungsminister und Erzfeind des Präsidenten Michail Saakaschwili (39), meldete sich am Montagabend aus seinem deutschen Exil zu Wort. Das Interview wurde auf einer Leinwand vor 10.000 Demonstranten ausgestrahlt.

Seit vergangenen Freitag dauern die Massenproteste gegen den Präsidenten an. Okruashwili sorgt dafür, dass sie nicht so rasch erlahmen. Die Leitfigur der Opposition nannte Saakaschwili einen „neuen Hitler“. Inzwischen traten vier Oppositionspolitiker publikumswirksam in den Hungerstreik.

Politik in Georgien kommt nicht ohne spannende Effekte und TV-Kameras aus. Was bisher geschah: Vor einem Jahr entließ der Präsident nach einem Streit seinen Verteidigungsminister. Am 25. September tauchte dieser spektakulär wieder aus der Versenkung auf. Im Fernsehen beschuldigte er den Präsidenten, ihn zum Mord am reichsten Geschäftsmann des Landes angestiftet zu haben. Auch am Tod von Ex-Premier Zhvania, der im Februar 2005 angeblich einem undichten Gasofen zum Opfer gefallen war, meldeteOkruashwili Zweifel an. Zwei Tage später wurde er wegen Erpressung und Geldwäsche festgenommen.

Volk zürnt trotz Erfolgsbilanz

Keiner der beiden Streithähne machte bisher eine gute Figur. Okruashwili konnte keine Beweise für seine Anschuldigungen liefern. Der Präsident wiederum konnte nicht erklären, warum die Anklage gegen seinen Rivalen gerade jetzt erfolgte. Denn die Vorwürfe stammen aus einer Zeit, als die beiden noch politische Partner waren. Am 8.Oktober trat Okruashwili im Staatsfernsehen auf. Sichtlich müde und benommen widerrief er seine Anschuldigungen. Dann kam er gegen Kaution frei.

Zwei Tage vor den erwarteten Protesten gegen die Verlängerung der Amtszeit des Präsidenten flog der Oppositionsführer nach München – unfreiwillig, wie er nun verkündete. Und sein Widerruf sei, wie von seinen Anhängern vermutet, unter Zwang erfolgt.

„Mischa, die Rosen sind verwelkt“, rief jetzt die Menge in Tiflis. Das galt, wenig respektvoll, Saakaschwili und seiner „Rosenrevolution“, durch die er 2003 unblutig an die Macht gelangte. Aus dem Musterschüler des Westens ist inzwischen ein Buhmann geworden. Dabei hatte Saakaschwili anfangs recht erfolgreich die Korruption bekämpft, die Verwaltung modernisiert und westliche Investoren angelockt. Fast alle Georgier teilen seine außenpolitischen Ziele, den Beitritt zur Nato und zur EU. Auch dass Okruashwili vermutlich ein Verbrecher sei, gestehen viele Demonstranten ein. Doch sie akzeptieren ihn als Sprachrohr ihres Protests.

Denn Saakaschwili, seine Regierung und seine Partei, scheinen den Versuchungen der Macht zu erliegen. Der Zorn vieler Demonstranten richtet sich nicht gegen ihr politisches Programm. Sie wollen nur endlich in einem Land leben, in dem der politische Alltag nicht an einen Krimi erinnert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.11.2007)

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