Vietnam-Krieg: 58.256 Tote in 65 Stunden

(c) EPA (Jonathan Ernst)
  • Drucken

USA. Vietnam-Veteranen feiern in Washington ihr Denkmal und vergleichen zwei ungeliebte Kriege: den Einsatz in Südostasien und den aktuellen Krieg im Irak.

Washington. Der Wind ist eisig. Die Menschen sind tief eingewickelt in Jacken und Schals, tragen Handschuhe und Kappen und dicke Schuhe. Nur Harry Allen hat eine dünne, grüne Uniform an und auf dem kahlen Kopf ein Barett, das kaum schützt gegen die Kälte, die nach einem lauen Herbst in Washington Einzug hält.

Nein, ihm sei nicht kalt. Und wenn schon: „Das ist nichts im Vergleich zu dem, was unsere Soldaten erleiden.“ Harry hat auch viel erlitten, in Vietnam, wo er für die USA kämpfte und wo die Uniform her ist, die damals noch grün war, nicht grau-beige wie die heutigen, die in Stadt und Wüste tarnen sollen. „Man muss die Jungs unterstützen“, sagt er zum Irak-Krieg. „Sie brauchen das Wissen, für etwas Sinnvolles zu kämpfen.“

Denkmäler für den Irak-Krieg

Harry Allen weiß, worüber er spricht. Als er aus dem Vietnam-Krieg zurückkam, demonstrierten sie auf der Straße gegen ihn. „Baby-Killer“ nannten sie die Soldaten, warfen mit Steinen nach ihnen und sagten ihnen beständig, für nichts gekämpft und einen ungerechten Krieg geführt zu haben.

„Support Our Troops“ liest man dieser Tage oft auf den Autos und auf den Harley-Davidsons, die rund um das Lincoln-Denkmal in Washington parken. Selbst neben einem Friedenszeichen kann man den Aufkleber sehen. Denn die, die sich in dieser Woche hier in der US-Bundeshauptstadt versammeln, haben am eigenen Leib erfahren, wie es ist, in einem Krieg zu kämpfen, den niemand mehr führen will.

Tausende Veteranen überschwemmen Washington, um das 25-Jahr-Jubiläum zu feiern, als das „Vietnam Veterans Memorial“, das Denkmal an diesen Krieg, eröffnet wurde: Die schlichte, schwarze Granitwand mit den Namen der 58.256 gefallenen und vermissten Soldaten in Vietnam. Erst Jahre nach Ende des Krieges ehrte man seine Teilnehmer mit der zeitlos schönen Wand.

Den fast 4000 Soldaten, die bisher im Irak-Krieg gefallen sind, werden schon jetzt überall in den USA Denkmäler errichtet. Auch über eines auf der „National Mall“ in Washington wird schon diskutiert – neben denen für den Korea-Krieg, den Zweiten Weltkrieg und den Vietnam-Krieg.

So geteilt die Meinungen der Veteranen über den Krieg von George Bush sind, so klar sind sie über die, die diesen Krieg führen müssen. „Jetzt wissen wir, dass der Krieg aus unehrlichen Gründen geführt wird. Aber nie – nie können wir den Einsatz in Frage stellen, weil wir sonst in Frage stellen, wofür diese Soldaten ihr Leben aufs Spiel setzen“, sagt Allen.

Ein anderer Veteran, Jack Tempsky aus Georgia, hat eine einfache Meinung: „Wenn dir der Oberbefehlshaber einen Befehl gibt, dann befolgst du den. Das ist, was Soldaten tun. Man befolgt Befehle, man hinterfragt sie nicht.“ Natürlich unterstütze er den Krieg. Denn selbst wenn man keine Massenvernichtungswaffen im Irak gefunden hat, dann hat man doch einen „brutalen Diktator“ entmachtet. Dass man nun im Chaos untergeht, das sei ein Planungsfehler gewesen: „Wir sind mit zu wenigen Soldaten einmarschiert. Deshalb konnte sich der Widerstand formieren.“

Etliche Veteranen, die in Lederjacken und Baseball-Kappen an der „Wall“ entlang gehen und nach den Namen früherer Kameraden suchen, sind ausgebrochene Kriegsgegner. „Es ist wenig glamourös, im Dreck zu liegen und andere Menschen zu erschießen, sagt einer. „Wir sollten überhaupt keine Kriege führen, weil es zu viele Unschuldige trifft.“ Pete Collan, der ein Purple Heart an der linken Brust trägt, wird diesmal einen Demokraten wählen – „egal, wer auch immer der Kandidat ist“. Denn Bush „hat das Land belogen und uns in einen sinnlosen Krieg geführt.“

„Warum bleiben wir dort?“

Dass man die Soldaten nach Hause bringen soll, wollen aber selbst jene, die den Krieg unterstützen. Sam Jones etwa, der meint, man habe „das absolut Richtige getan“, als man gegen Saddam Hussein marschierte. „Aber warum bleiben wird dort? Sie wollen uns nicht, sie greifen uns an.“

„William Allen Hayes, Alva Dean Henthorn, Jason Aireal Holes“, hört man derweil über die Lautsprecher. Erst zum vierten Mal werden die Namen aller getöteten und vermissten Soldaten aus dem Vietnam-Krieg laut vorgelesen. Es dauert 65 Stunden. Die Opfer des Irak-Kriegs kann man in weniger als fünf Stunden verlesen – noch.

UNPOPULÄRE KRIEGE.

Die USA traten ab 1965 mit Bodentruppen in den Vietnam-Krieg ein, der bis 1975 dauerte. In der Zeit starben 58.256 Soldaten bzw. werden noch vermisst. Der Irak-Krieg begann im März 2003. Bisher fielen knapp 3900 US-Soldaten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.11.2007)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.