„Ohne UN-Mandat wäre EU illegal im Kosovo“

Die Presse (Bruckberger)
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Alexander Botsan-Chartschenko, Russlands Kosovo-Unterhändler, will Verhandlungen ohne Zeitlimit und warnt vor dem Präzedenzfall, den Kosovos Unabhängigkeit für Bosnien und Georgien setzen würde.

Die Presse: Wolfgang Ischinger, Ihr deutscher Kollege in der Troika, hat Kosovo-Verhandlungen über die Deadline vom 10. Dezember hinaus als sinnlos bezeichnet. Russland beharrt trotzdem darauf. Warum?

Botsan-Chartschenko: Die UN-Resolution 1244 verpflichtet uns, eine Kompromisslösung für den Kosovo zu suchen. Nur ein Kompromiss zwischen Belgrad und Pristina kann zu Frieden in der Region, nicht nur im Kosovo, führen. Die intensiven informellen Gespräche in Baden haben bedauerlicherweise kein Resultat gebracht. Es entstand aber eine bessere Atmosphäre, die wir zu weiteren Diskussionen nützen sollten.

Laut Hashim Thaçi, dem vermutlich nächsten Kosovo-Premier, könnte man noch 100 Jahre verhandeln, ohne dass das etwas ändern würde. Und die Kosovo-Albaner sind fest entschlossen, nach dem 10.Dezember die Unabhängigkeit auszurufen.

Botsan-Chartschenko: Ob Pristina weiterverhandelt, wird vom UN-Sicherheitsrat und nationalen Regierungen abhängen.

Ersucht Russland den UN-Generalsekretär, sich für weitere Verhandlungen einzusetzen?

Botsan-Chartschenko: Wir werden die Gespräche nicht nur mit Sicherheitsratsmitgliedern, sondern auch mit dem UN-Generalsekretär weiterführen. Wir werden auf unserer Sichtweise beharren.

Gab es schon eine Reaktion des UN-Generalsekretärs darauf?

Botsan-Chartschenko: Nein, ich glaube, der Generalsekretär wartet zunächst auf den Troika-Bericht.

Wird dieser Bericht auch Vorschläge für den Kosovo-Status enthalten?

Botsan-Chartschenko: Nein. Die USA und Russland haben unterschiedliche Positionen. Deshalb können wir keine gemeinsamen Schlüsse ziehen. Wir sind für eine Fortsetzung der Verhandlungen, andere Staaten der Kontaktgruppe glauben, dieser Prozess ist ausgereizt. Die Troika wird aber nächste Woche noch die Führungen in Belgrad und Pristina treffen. Ich schließe nicht aus, dass die eine oder andere Seite noch neue Elemente präsentieren könnte. Belgrad hat seine Position zuletzt weiterentwickelt und ist bereit, ein Maximum an Selbstverwaltung zuzugestehen.

Belgrad hat doch von Anfang an gesagt: Maximale Autonomie, aber keine Unabhängigkeit.

Botsan-Chartschenko. Freilich bleibt der Rahmen bestehen, dass Belgrads Souveränität über Kosovo erhalten wird, aber innerhalb dieses Rahmens gibt es Bewegung.

Das Problem ist, dass die beiden Seiten verschiedene Rahmen haben, die nicht übereinander passen.

Botsan-Chartschenko: Derzeit ja, aber in Zukunft könnten die beiden Seiten die Kluft überbrücken.

Wie lange sollen denn Albaner und Serben noch weiterverhandeln?

Botsan-Chartschenko: Künstliche Zeitlimits sind nicht hilfreich. Sie geben keinen Anreiz für die Parteien, flexibler zu sein. Wir werden darauf insistieren, dass es keine solchen Limits gibt.

Sie wollen den Konflikt einfrieren?

Botsan-Chartschenko: Nein. Derzeit gibt es kaum eine Chance für eine Kompromisslösung. Aber wenn weiterverhandelt wird, wird diese Chance kommen.

Wie wird Russland reagieren, wenn Pristina nach dem 10. Dezember seine Unabhängigkeit verkündet?

Botsan-Chartschenko: Unilaterale Schritte verletzen die UN-Resolution 1244. Dies werden wir sehr klar herausstreichen. Eine Verletzung der Resolution wird diese aber nicht außer Kraft setzen. Wir erwarten eine sehr schwierige Situation für andere eingefrorene Konflikte. Kosovo schafft einen gefährlichen Präzedenzfall.

Für Abchasien und Südossetien?

Botsan-Chartschenko: Die Provinzen in Georgien sind ein sehr sensibles Thema für Russland. Der Standpunkt, Kosovo sei ein einzigartiger Fall, ist völlig unbegründet.

Aber die Konflikte sind grundverschieden.

Botsan-Chartschenko: Darüber könnten wir eine Woche streiten. Die Menschen in solchen eingefrorenen Konflikten glauben, dass sie ähnliche Rechte haben, wenn Kosovo unabhängig werden darf.

Würde Russland dann eine Unabhängigkeit Abchasiens und Südossetiens oder der Republika Srpska von Bosnien unterstützen?

Botsan-Chartschenko: Wir unterstützen universelle Prinzipien der Konfliktlösung, die auf dem Völkerrecht basieren. Wir sind gegen doppelte Standards. Ich kann nur sagen, dass Kosovo ein schlechtes Beispiel für Bosnien abgibt. Und die Lage in Bosnien ist sehr fragil.

Wird Russland im Falle einer einseitigen Unabhängigkeitserklärung Pristinas eine EU-Mission im Kosovo akzeptieren?

Botsan-Chartschenko: Wir sind nicht grundsätzlich gegen eine neue EU-Mission im Kosovo. Wir können sie aber nur auf Basis einer neuen UN-Resolution unterstützen. Sonst wäre sie illegal. Auch die OSZE braucht eine rechtliche Grundlage, um ihre Mission im Kosovo weiterführen zu können.

Welche Möglichkeiten haben Serbien und Russland, eine Unabhängigkeitserklärung zu verhindern?

Botsan-Chartschenko: Wir werden versuchen, das im UN-Sicherheitsrat zu verhindern. Belgrad schließt, soweit ich weiß, militärische Maßnahmen aus, aber es hat andere Maßnahmen (Wirtschaftsblockade, Abberufung der Botschafter; Anm.) angekündigt. Erklärt der Kosovo seine Unabhängigkeit, wäre Belgrad zu solchen Maßnahmen gezwungen.

ZUR PERSON

Alexander Botsan-Chartschenko ist Moskaus Vertreter in der Kosovo-Vermittler-Troika (USA, Russland, EU). Er verfügt über einige Erfahrung am Balkan: Anfang der 90er-Jahre war er
an der russischen Botschaft in Belgrad tätig. 1995 nahm er an der Friedenskonferenz von Dayton zur Beendigung des Bosnien-Krieges teil. 2002 wurde Botsan-Chartschenko stellvertretender Direkter der Europa-Abteilung des russischen Außenministeriums.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.11.2007)

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