Irak: Ohne Kopftuch droht Enthauptung

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Am Sonntag übergibt die britische Armee endgültig die Provinz Basra an irakische Sicherheitskräfte. Die Gewalt dort ist zuletzt stark gestiegen – besonders gegen Frauen.

BASRA/Kairo. Am Sonntag ist es so weit: Die britische Armee wird die Kontrolle über die gesamte südirakische Provinz Basra an irakische Sicherheitskräfte übergeben. Doch die britische Hinterlassenschaft ist alles andere als glorreich. Die größte Stadt im Süden des Irak scheint fest in den Händen rivalisierender schiitischer Milizen und krimineller Banden zu sein, die unter dem Deckmantel der Religion operieren.

Bereits Anfang September hatte die britische Armee das Stadtgebiet Basras geräumt und mit 500 Soldaten einen Luftwaffenstützpunkt außerhalb der Stadt bezogen. Derzeit sind noch rund 5500 britische Soldaten im Süden des Irak stationiert. Deren Zahl wird bis zum Frühjahr auf 2500 reduzieren werden. „Wir haben es geschafft, den Irak in eine wesentlich bessere Position zu hieven“, hatte der britische Premierminister Gordon Brown vergangenen Sonntag bei einem Blitzbesuch im Irak verkündet.

In London war ein Parlamentsausschuss zu einem völlig anderen Schluss gekommen: Das Ziel, den Südirak sicher zu machen, sei verfehlt worden. Der Ausschuss äußerte Besorgnis über die steigende Gewalt in dem Gebiet.

Tod für „unislamische Kleidung“

Es sind unter anderem Frauen, die diese neue Gewaltwelle besonders zu spüren bekommen. Der Polizeichef von Basra, Jalil Khalaf, hat zugegeben, dass in den vergangenen Wochen mindesten 40 Frauen in der Stadt ermordet wurden – wegen ihrer Kleidung, Make-up oder weil sie sich ohne Kopftuch auf die Straße gewagt hatten. Basras oberster Ordnungshüter befürchtet jedoch eine hohe Dunkelziffer. „Frauen werden in unserer Stadt auf grausame Weise ermordet. Die Leichen werden enthauptet auf Müllhalden geworfen, mit einer kleinen Notiz, dass sie für ihre unislamische Kleidung bezahlen mussten“, erzählt Khalaf. Im September wurde sogar eine Frau zusammen mit der Leiche ihres sechsjährigen Kindes entdeckt.

An den Wänden Basras finden sich warnende Graffiti wie: „Dein Make-up und Dein offenes Haar werden Dir den Tod bringen.“ Eine Frauenrechtlerin spricht schon von „einer neuen Kultur von Gewalt gegen Frauen. Jeden zweiten Tag hören wir von einem Angriff.“ Einer Studentin sei in die Beine geschossen worden, weil sie kein Kopftuch getragen hat“, berichtet eine Anwältin aus Basra der britischen BBC. Sie selbst sei immer wieder gewarnt worden: Sie solle aufhören zu arbeiten, heiraten und zu Hause bleiben. Manchmal werden auch Männer mit westlicher Kleidung oder westlichem Haarschnitt angegriffen.

Weihnachtsfeiern abgesagt

Auch die kleine christliche Gemeinde der Stadt bleibt nicht verschont. Der Erzbischof von Basra, Imad al-Banna, hat die diesjährigen Weihnachtsfeierlichkeiten abgesagt, nachdem eine 30-jährige christliche Apothekerin und ihr Bruder entführt und erschossen worden waren. Niemand hat sich verantwortlich erklärt, aber die Gemeinde ist sich sicher, dass die Religionszugehörigkeit für den Mord ausschlaggebend war.

Unklar ist wer hinter den Morden steckt. Die Mahdi-Armee des schiitischen Predigers Moqtada al-Sadr ist mit dem „Obersten Rat der Islamischen Revolution“ und kriminellen Banden in Revierkämpfe verstrickt. Harith al-Ithari von der Sadr-Partei sagt, dass seine Bewegung die Morde an den Frauen verurteilt und schiebt die Taten auf „kriminelle Banden“. „Es ist eine Sünde für Frauen, ihr Haar offen zu zeigen und Make-up zu tragen, aber jemanden umzubringen ist eine noch größere Sünde.“

Basra war einst bekannt für seine gemischte Bevölkerung und relative Offenheit. Jetzt patrouillieren Banden auf Motorrädern oder mit Autos ohne Nummernschildern. Der Journalist Ghaith Abul-Ahad schildert im „Guardian“ die abendlich wiederkehrende Szene am Hayaniya-Platz, wo sich die Todesschwadronen treffen.

Jagd auf Kollaborateure

Die Killer nehmen dort ihr Abendessen ein, und tauschen Namen und Adressen von „Kollaborateuren“ aus. Am meisten gesucht sind Übersetzer und andere Iraker, die mit den Briten zusammengearbeitet haben. Für einen Mord winken mitunter mehrere tausend Dollar.

Eine andere Episode zeigt, wer in Basra das Sagen hat. Armeekommandeur Mohan hat kürzlich einen bestimmten Autotyp in Basra verboten. Die Mahdi-Armee, die den Hafen kontrolliert, verdient nämlich kräftig am Schmuggel dieser Fahrzeuge. Daraufhin begann die Armee, an einem Checkpoint die ersten Autos einzuziehen. Es verging keine halbe Stunde, da hatte die Mahdi-Miliz 55 Soldaten „festgenommen“ – als Pfand für die Rückgabe der Autos.

AUF EINEN BLICK

Die britische Armee übergibt am Sonntag die Kontrolle über die südirakische Provinz Basra an die irakischen Sicherheitskräfte. Bis zum Frühjahr wird die Zahl der britischen Soldaten im Irak auf 2500 sinken. Bei der Invasion im März 2003 waren es 45.000.

173 Todesopfer hat die Armee in dem Einsatz seither zu beklagen. Die im Land verbleibenden Kräfte sollen sich künftig vor allem um die Ausbildung irakischer Truppen kümmern. Die Sicherheitslage im Südirak hat sich zuletzt wieder merklich verschlechtert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.12.2007)

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