Erection pr©sidentielle

Wahlkampf in Frankreich. Wenn Macht plötzlich obszön wird, sobald eine Frau nach ihr greift: Ségolène Royal zwischen Macho-Häme und Kastrationsängsten.

Angela Merkel trägt gerne Hosenanzüge. Ségolène Royal ist anders. Die Frau, die will, was auch Hillary Clinton will und Merkel schon geschafft hat, nämlich die erste Frau an der Spitze ihres Landes zu werden, ist fast immer in Röcken zu sehen. Nichts Seltsames. Seltsamer ist, dass dieses Detail zu einem der meistkommentierten ihres Wahlkampfs wurde.

Ein französischer Psychoanalytiker ist der sozialistischen Präsidentschaftskandidatin sogar, zumindest intellektuell, unter den Rock gekrochen. In seinem Buch „La confusion des sexes“ („Die Verwirrung der Geschlechter“) lüftet Michel Schneider das Geheimnis des Royalschen Rockes: Die Trägerin habe schlicht und einfach gemerkt, dass „die Frauen nicht an die Macht kommen werden, indem sie Hosen anziehen“, sondern indem sie in ihren „Mutterröcken“ die großen ängstlichen Kinder vor der Welt beschützen, aus mündigen Bürgern unmündige Kinder machen, ferngehalten von der „Verführung“, dem „Tragischen“, kurz: der guten alten Welt, in der es noch Unterschiede zwischen den Geschlechtern gab.

„Big Mother is watching you“

Als Beleg für seine These liefert Schneider Indizien, unter anderem: Royal, die vierfache Mutter, hat ihre Mutterrolle im Wahlkampf ausgiebig eingesetzt. Außerdem degradiert sie mit ihrer Spitzenkandidatur ihren Langzeit-Lebensgefährten, den Politiker François Hollande, zum demütigen Wahlhelfer. Schließlich hat die konservativ-katholisch erzogene Offizierstochter, die durch den Feminismus zum Sozialismus kam, in ihrer Politikervergangenheit auf Sexualverbrechen und Werbung für String-Tangas Jagd gemacht. Für Schneider ist Royal Vorkämpferin einer sexuell niedergebügelten Welt, eine „Big Mother“, die den Penis unter Dauerbeobachtung stellen will.

Höchste Kastrationsangst prädestiniert nicht zu höchster Logik. Warum ausgerechnet ein traditionell weibliches Kleidungsstück der Desexualisierung Vorschub leisten soll, ist nicht ganz einzusehen. Noch dazu wird Royal im Wahlkampf genau das Gegenteil vorgeworfen: Sie schlage aus ihrem „Frausein“ Kapital, benutze ihre Weiblichkeit als „Waffe“. Anders als Merkel nämlich tritt Royal offensiv „als Frau, als Mutter“ auf, ihr Outfit pendelt zwischen weißem Immaculata-Look und verheißungsvollem Rot. Und obwohl sie ihre politischen Muskeln wie so viele vor ihr in der Elite-Kaderschmiede ENA gestählt hat, verspricht sie einen „weiblicheren“, will heißen partizipativeren Politikstil.

Nein, von einer (durch die mediale Bildlastigkeit ohnehin konterkarierten) Desexualisierung kann in diesem Wahlkampf keine Rede sein, das Gegenteil ist der Fall. Die auf der Strecke gebliebenen sozialistischen Mitbewerber für die Kandidatur gaben den Ton vor: „Das ist kein Schönheitswettbewerb“, „Wer wird die Kinder hüten?“ – bis hin zum Vorschlag bei einer TV-Debatte, Royal hätte „lieber zu Hause bleiben sollen, als von ihren Rezeptkarten abzulesen“. Folgerichtig machte der Kabarettist Gérald Dahan aus den Präsidentschaftswahlen („élections présidentielles“) eine „erection présidentielle“, auf dem DVD-Cover zum gleichnamigen Kabarettprogramm scharwenzelt ein Mann mit Rose im Mund vor einer Royal-ähnlichen weiblichen Silhouette.

Ségolène antwortet darauf als geschickte Politikerin. Sie nutzt den „Faktor Frau“ – und wehrt ihn ab, sobald er gegen sie verwendet wird. Ob sie „schroff“, „spröde“ sei, fragte ein Journalist, worauf sie anmerkte, diese Kritik habe vielleicht auch „eine sexistische Dimension“. Auch als ein Reporter der „New York Times“ ihr außen- und wirtschaftspolitisch auf den Zahn fühlte, konterte sie feministisch: Würde er ihr diese Fragen auch stellen, wenn sie „ein Mann“ wäre? Ihr „weiblicher“ Stil ist gutes Marketing. Dass sie dahinter einen autoritären, harten Führungsstil pflegt, haben vor Michel Schneider schon andere bemerkt.

Sarkozy: Untrainierter Silvester Stallone

Darin trifft sie sich aber mit ihrem großen rechten Rivalen, „Sarko“ Nicolas Sarkozy, der einst die Vororte „mit dem Kärcher“ zu reinigen versprach. Sarkozy ist der Parade-Macho, prädestiniert für den „Big Brother“, er wirkt wie ein Silvester Stallone, dem wegen des Wahlkampfs die Zeit zum Trainieren fehlt. Nur: Dass er bei der sozial verunsicherten französischen Bevölkerung mit der Männlichkeitskarte zu punkten versucht, wird bei ihm als selbstverständlich und legitim hingenommen.

Royal hingegen wird sowohl wegen der Instrumentalisierung ihrer „Weiblichkeit“ als auch ihres straffen Führungsstils diffamiert. Sie wolle nicht politische Erneuerung, sondern Macht!, warnt Eric Besson im Pamphlet „Kennen Sie Mme Royal?“. Eine (traurige) Politikerregel wird hier plötzlich zur Ungeheuerlichkeit. Wieder hört man da und dort in Frankreich, dass Frauen für die allerobersten Etagen der Macht nicht prädestiniert seien, weil ihnen „der Instinkt zum Töten“ fehle, weil sie das „Mehr an Seele“ hätten. Bei Royal bekommt die Macht plötzlich etwas Obszönes. Man verzeiht ihr nicht, dass sie nicht besser ist als ihre testosterongesteuerten Gegner.

Hinter der betont sexualisierten Fassade ähneln sich die Rivalen tatsächlich, wenn es nämlich um die reine Macht geht. Das ist wohl die „Entsexualisierung“ der Welt, welche die Anwälte bedrohter Virilität fürchten. Aber ihre Angst vor der „Ein-Frau-Revolution im Macho-Klub der französischen Politik“ („Guardian“) könnte sich als unbegründet erweisen. Neue Unruhen in Paris begünstigen den „starken Mann“ Sarkozy. Ob „Big Mother“ dagegen ankommt?

Inline Flex[Faktbox] ZUR PERSON("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.03.2007)

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