Fettleibigkeit: EU-Warnschuss gegen Lebensmittel-Industrie

Selbst-Beschränkung: Gesünderes Essen oder es drohen EU-Regeln.

BRÜSSEL/WIEN. Die Lebensmittelindustrie ist noch einmal mit einem blauen Auge davon gekommen. Die EU-Kommission verzichtet zwar auf ursprünglich ins Auge gefasste gesetzliche Regelungen gegen ungesundes Essen. Doch Gesundheitskommissar Markos Kyprianou gibt der Industrie nur noch Zeit bis 2010. Kommt es zu keiner Selbstbeschränkung, werde Brüssel gemeinsam mit den Mitgliedstaaten strenge Auflagen erlassen, so Kyprianou bei der Präsentation eines EU-Weißbuchs zur Gesundheit am Mittwoch in Brüssel.

Um das wachsende Gesundheitsrisiko durch Übergewicht und Fettleibigkeit einzuschränken sollen die Lebensmittelhersteller freiwillig den Anteil von Zucker, Fett und Salz in ihren Produkten reduzieren. Die Werbung für ungesundes Essen soll eingeschränkt werden. Außerdem müssen Hersteller auf ihren Verpackungen auf den Nährwert ihrer Produkte hinweisen.

Die EU-Kommission sieht Handlungsbedarf: Denn in der Mehrheit der Mitgliedstaaten – darunter Österreich – sind über 50 Prozent der erwachsenen Bevölkerung übergewichtig oder fettleibig. Darüber hinaus leiden laut Brüsseler Lebensmittelexperten 21 Millionen Kinder in der EU derzeit an Übergewicht. Jährlich kommen 400.000 hinzu. „Wenn wir nichts unternehmen, werden die übergewichtigen Kinder von heute die Herzinfarkt-Opfer von morgen“, warnt Kyprianou.

Gesunde Optionen

Die EU-Kommission will die Konsumenten allerdings nicht bevormunden. Im vorgelegten Weißbuch heißt es ausdrücklich, dass Verbraucher selbst entscheiden müssten, was sie essen. Doch sei es wichtig, dass die Hersteller „angemessene Angebote an gesunden Optionen“ anbieten. Außerdem sollten „Dickmacher“ in Lebensmitteln besser gekennzeichnet werden. Kyprianou kündigte auch an, die derzeitige bereits vorhandene Kennzeichnungspflicht auf Lebensmittelverpackungen zu überprüfen.

Der Lebensmittelkonzern Nestlé hat als erster auf die Aufforderungen aus Brüssel reagiert. Schon im Juni will er auf seinen Produkten die Nährwerte deutlich auflisten. Nach einem Bericht der „Berliner Zeitung“ wollen sich auch Kellogg's, Coca-Cola, Danone, Kraft, Unilever, Masterfoods und Campbells an der EU-Kennzeichnungsinitiative beteiligen. Sie alle wollen künftig Kalorien pro Portion ausschildern. Verbraucherschützer kritisieren allerdings, dass allein die Kennzeichnung nicht ausreichen werde. Denn die Käufer müssten auch vor hohen Anteilen an Fetten oder Zucker gewarnt werden. Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO nehmen die Europäer heute um 300 Kilokalorien täglich mehr durch ihr Essen auf als noch 1970.

Neben der falschen Ernährung hat das EU-Weißbuch auch vor der mangelnden Bewegung der europäischen Bevölkerung gewarnt. So zeigen Studien, dass jeder dritte Europäer sich in seiner Freizeit überhaupt nicht körperlich betätigt und dass der durchschnittliche Europäer mehr als fünf Stunden täglich sitzend verbringt. Kyprianou kündigte gemeinsame Initiativen der EU und der Mitgliedstaaten an, um Sport wieder attraktiver zu machen. Es gehe dabei nicht um den sportlichen Wettbewerb. „Es geht darum, dass vor allem Kinder wieder Spaß an der Bewegung vermittelt bekommen.“

ÜBERGEWICHT

In Österreich sind 65 Prozent der Männer und 53 Prozent der Frauen übergewichtig.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.05.2007)

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