Sterben vor den Küsten: Chaos um Grenzschutz

AP
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Illegale Einwanderung. Kommission und Parlament drängen EU-Länder zu mehr Mitteln für Seeüberwachung.

BRÜSSEL. Tausende Flüchtlinge versuchen Woche für Woche, aus Nordafrika illegal in die EU zu gelangen. Für die Einwanderer, die meist übers Meer kommen, münden solche Versuche oft in Lebensgefahr. Sie geraten mit ihren brüchigen Booten in Seenot, versuchen, sich an Fischnetze geklammert zu retten. Doch die EU und viele andere Anrainerstaaten schauen weg. Libyen etwa will keine Flüchtlinge aufnehmen, die nicht Libyer sind, Malta fühlt sich überlastet. Eigentlich sollte die gesamte EU helfen, aber der gemeinsame Grenzschutz versinkt im Chaos, weil sich die Regierungen nicht einig sind, wer wie viel zu den gemeinsamen Einsätzen beisteuert.

Jetzt wächst der Druck auf die EU-Agentur Frontex, sie solle endlich ihrer Pflicht nachkommen und nicht nur die illegale Einwanderung in die Europäische Union eindämmen helfen, sondern auch vom Tod bedrohte Flüchtlinge rascher aus dem Meer retten.

Einsätze eingestellt

Erst vor wenigen Tagen waren wieder mehrere Nordafrikaner ums Leben gekommen. Im Vorjahr sollen es insgesamt 600 Tote im Mittelmeer gewesen sein. Statt ihre Anstrengungen zu verstärken, hat Frontex aber nach nur wenigen Wochen ihre Einsätze „Nautilus II“ (vor Malta) und „Hera 07“ (vor den Kanarischen Inseln) Ende Juli eingestellt. Wie Insider berichten, soll der Abbruch von vornherein geplant gewesen sein. Es dürfte aber auch daran liegen, dass die notwendige Zahl an Fachleuten sowie technische Ausrüstung fehlen.

In den nächsten Tagen werde die Agentur die Seeüberwachung „Nautilus“ allerdings neu starten, erfuhr die „Presse“ am Dienstag in der EU-Kommission. Über das genaue Datum schweigt man – „aus Sicherheitsgründen“, heißt es im Hauptquartier der Grenzschutz-Agentur in Warschau.

„Das ist unglaublich bedauerlich und inakzeptabel“, so der Sprecher von Justiz- und Sicherheitskommissar Franco Frattini, Friso Roscam Abbing, zum bisherigen Flüchtlingsdrama vor den Küsten. Die EU-Kommission werde zwar darauf drängen, dass die Mitgliedstaaten bis 2008 endlich ihre Kontingente bereitstellen, mit denen das Mittelmeer und der Atlantik „permanent überwacht werden können“. Wobei man ja „nicht immer 100 Boote gleichzeitig braucht, aber sie sollten für den Ernstfall verfügbar und flexibel zu nutzen sein“.

Kommissionspräsident José Barroso und Innenkommissar Frattini erinnern die EU-Länder immer wieder an ihre Zusagen, der Agentur ausreichend Mittel zur Verfügung zu stellen. Gleichzeitig kommt aus Brüssel der Appell, sich in Fragen der Einwanderungspolitik auf eine gemeinsame Linie zu einigen. „Wir wollen Österreich oder Deutschland aber sicher nicht vorschreiben, wie viele Flüchtlinge es aufzunehmen hat“, betont Roscam Abbing.

Das kleine Malta, das besonders von den Flüchtlingsströmen im Sommer betroffen ist, hat eine Quote vorgeschlagen, über die illegale Einwanderer proportional auf alle EU-Staaten aufgeteilt werden sollten – bisher vergeblich. Die österreichische Arbeits-Staatssekretärin Christine Marek bezeichnete eine solche Quote gegenüber der „Presse“ als fair. Bisher hatte sich Österreich freilich dagegen ausgesprochen. Wobei die Kommission zu bedenken gibt, dass ein Großteil der illegalen Einwanderer in EU-Länder aus dem Osten und nicht nur aus dem Süden kommt. Studien zufolge sind bereits 500.000 Menschen illegal aus einer der beiden Nachbarregionen in die EU eingewandert.

„Idee gut, Umsetzung schlecht“

Unter den EU-Parlamentariern steigt die Empörung über das Grenzschutz-Chaos: ÖVP-Abgeordneter Hubert Pirker nennt die „Idee Frontex gut, die Umsetzung schlecht“. Das Europaparlament hat in diesem Jahr 35 Millionen Euro für die Agentur zur Verfügung gestellt, jetzt müssten die Mitgliedstaaten „liefern“. Sie hätten bisher gerade einmal zehn Prozent ihrer Zusagen für Flugzeuge, Helikopter und Schiffe eingehalten. Pirker: „Wenn Frontex nicht ganzjährig zu Einsätzen fähig ist, dann scheitert der Kampf gegen das Schlepperwesen und die organisierte Kriminalität.“

AGENTUR FRONTEX

2004 haben sich die EU-Länder zur koordinierten Grenzsicherung über die Agentur Frontex (in Warschau) verpflichtet. Für die Mittelmeer-Aktion „Nautilus“ hat etwa Frankreich neun Flugzeuge, elf Helikopter und 55 Schiffe zugesagt (Italien: 5, 5, 32).

Viele Staaten blieben ihren Beitrag aber schuldig. 90 Prozent der versprochenen Ressourcen wurden nicht bereitgestellt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.09.2007)

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