Mehr Arbeit für bescheidenen Lohn

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Plus vier Millionen Beschäftigte in Europa, doch Anteil der Löhne am Volkseinkommen sinkt.

BRÜSSEL. Die gute Nachricht aus Brüssel: Die Anzahl der Arbeitslosen in der EU ist im Vorjahr so stark gesunken wie seit 2000 nicht mehr, und zwar um vier Millionen. Laut Prognose wird die Arbeitslosigkeit bis zum nächsten Jahr im EU-Durchschnitt auf 6,7 Prozent sinken. Auch Österreich legte zu: Seine Erwerbstätigenquote stieg von 2005 bis 2006 um 1,6 Prozentpunkte auf 70,2 Prozent. Das zeigt der neue Bericht über „Beschäftigung in Europa 2007“, den EU-Beschäftigungskommissar Vladimír Spidla am Montag vorlegte.

Demnach erreichten bereits Spitzenreiter Dänemark (77,4%), die Niederlande (74,3%), Schweden (73,1%) und Großbritannien (71,5%) im Vorjahr das sogenannte Lissabon-Ziel von mindestens 70 Prozent an Erwerbstätigenquote, das alle 27 EU-Mitglieder bis 2010 anpeilen.

Junge als „größte Sorge“

Der EU-Schnitt liegt derzeit allerdings noch bei 64,3 Prozent, die Kommission drängt daher trotz „großer Erfolge“ auf weitere Verbesserungen: „Es besteht kein Anlass zur Selbstzufriedenheit“, betonte Spidla. Es brauche eine noch flexiblere Beschäftigungspolitik in allen Mitgliedstaaten, zum Beispiel flexiblere Arbeitszeiten, „Desk Sharing“ – also das Teilen von Arbeitsplätzen durch zwei und mehr Mitarbeiter – oder mehr Weiterbildung. Als „größte Sorge“ nannte ein Experte der Kommission die Jungen, von denen viele nach der Schule mindestens ein Jahr warten müssten, bis sie einen Job finden. EU-weit sind 17 Prozent der Jugendlichen arbeitslos, damit schneidet Europa schlechter ab als die USA, Kanada oder Japan.

Wenig Qualifizierte hinten

Außerdem unter den Benachteiligten auf dem Arbeitsmarkt: Ältere, die wenig gebildet und niedrig qualifiziert sind. Dennoch gab es auch für die 55- bis 64-Jährigen eine gute Nachricht: Seit 2000 ist ihre Beschäftigungsquote EU-weit von 36,6 auf 43,6 Prozent gestiegen. Dänemark, Finnland und Schweden sind Vorreiter. Doch EU-weit hätten vor allem die Höher- und Höchstgebildeten profitiert.

Lebenslanges Lernen und aktives Altern werde daher für alle wichtig, so die Kommission. In Österreich waren im Vorjahr nur 35,5 Prozent der 55- bis 64-Jährigen beschäftigt (plus 3,7 Prozentpunkte gegenüber 2005), alle EU-Staaten zusammen wollen bis 2010 aber mindestens 50 Prozent erreichen.

Insgesamt glaubt man in der EU-Kommission, dass die Mitgliedstaaten auf dem richtigen Weg seien. Am ehesten bewährt hätten sich „integrierte Politikpakete“, die nicht nur zum Beispiel das Pensionssystem reformieren und das Pensionsalter anheben, sondern auch Gesundheits- und Weiterbildungsmaßnahmen enthalten sowie finanzielle Anreize für Arbeitnehmer schaffen.

Denn das ist die andere Seite der Medaille des Kommissionsberichts: Trotz des guten Wachstums haben die Arbeitnehmer immer weniger Anteil am gesamten Volkseinkommen. Die Lohnquote ist seit der zweiten Hälfte der 70er-Jahre in den Mitgliedstaaten kontinuierlich gesunken. Im Gegenzug steigen die Einnahmen aus Kapital und Eigentum. Das bedeutet, dass Arbeitnehmer an der gesteigerten Produktivität nur durch einen sicheren Arbeitsplatz, nicht aber durch höhere Löhne profitieren. In Österreich ist die Lohnquote von 72,9 Prozent (1978) des Volkseinkommens auf nur noch 55,8 Prozent (2006) gesunken.

Konsum gefährdet

Diese Entwicklung hat bereits die Politik auf den Plan gerufen. So wird in Österreich, aber auch in anderen EU-Staaten über neue Formen der Arbeitnehmerbeteiligung diskutiert. Der Nachteil einer niedrigen Lohnquote ist nicht bloß die Unzufriedenheit der Arbeitnehmer. Durch einen sinkenden Anteil der Löhne am Volkseinkommen wird auch das Konsumverhalten negativ beeinflusst.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.11.2007)

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