„Buchinger übt sich im Luftspagat“

Interview. Der grüne Sozialsprecher Karl Öllinger drängt den SP-Sozialminister dazu, nach dem Motto "Taten statt Worte" zu agieren.

Die Presse: Hat sich für den Sozialsprecher der Grünen mit dem Eintritt der SPÖ in die Regierung etwas an der Sozialpolitik geändert oder ist alles geblieben wie unter Schwarz-Blau?

Karl Öllinger: Die Situation ist insofern merkwürdig, als die beiden Regierungsparteien sich selbst gegenüber Opposition spielen. Das nimmt der Opposition Raum und Möglichkeiten, sich zu äußern. Wenn die Minister Buchinger und Bartenstein Dissens signalisieren, wollen alle wissen, was los ist.

Und keiner interessiert sich mehr für Öllinger.

Öllinger: So ist es. Es gibt aber noch einen zweiten Punkt: Die SPÖ hat sich das Sozialressort abräumen lassen. Jetzt existiert es in der merkwürdigen Kombination mit Konsumentenschutz und ist nur noch für Pensionen, Behinderte und Pflege zuständig. In ganz wesentlichen Agenden des Sozialen hat das Sozialressort aber nichts zu sagen.

Was meinen Sie konkret?

Öllinger: Nehmen wir das Hausbetreuungsgesetz: Wirtschaftsminister Bartenstein hat es entwickelt und Sozialminister Buchinger muss das Geld bei den Ländern aufstellen. Das ist ein denkbar undankbarer Job.

Ein zahnloses Ministerium? Ist wenigstens der Sozialminister nach Ihrem Geschmack?

Öllinger: Ich schätze Buchinger und seine inhaltlichen Positionen durchaus. Derzeit übt er sich allerdings im Luftspagat. Wenn der Minister im „Presse“-Interview sagt, wir bräuchten eigentlich eine Vermögenssteuer und das wird 2010 ein Wahlkampfthema, dann muss ich sagen: Lieber Erwin Buchinger, die Arbeit als Sozialminister hat erst begonnen. Es sind noch vier Jahre bis zur Wahl. Beim Fußball kann ich einen Elfmeter auch nicht erst beim nächsten Match verwerten. Buchinger macht das aber öfter. Auch bei der Verlängerung der Hacklerregelung hat er gesagt: Wer will, dass sie über 2010 hinaus gilt, muss das nächste Mal SPÖ wählen.

Buchinger macht also reine Ankündigungspolitik statt zu regieren?

Öllinger: Es ist reichlich absurd. Jetzt wird von SPÖ und ÖVP die Erbschaftssteuer- und vermutlich auch die Schenkungssteuer abgeschafft. Gleichzeitig erklärt die SPÖ, wenn's uns noch einmal wählt's, führen wir die Vermögenssteuer wieder ein.

Was halten Sie prinzipiell von der Idee, eine Vermögenssteuer für Pflege zu verwenden?

Öllinger: Das haben wir immer vertreten. Denn so wie es jetzt ist, funktioniert es nicht. Es wird bei den Sozialleistungen immer nach einem Restvermögen geschaut. Nach dem Schnüffelprinzip wird das letzte Sparbuch gesucht, das der Bedürftige nicht rechtzeitig seinen Kindern vererbt hat. Da geht's in der Regel nicht um große Vermögen. Das bringt in der Regel wenig Ertrag und ist für die Leute entwürdigend.

Schafft man das ab, müsste der Staat ja sämtliche Pflegekosten übernehmen.

Öllinger: Deshalb wäre eine Steuerart, wo alle ihren Beitrag leisten ein guter Ersatz.

Also eine Art Pflegeversicherung?

Öllinger: Genau, nur dass es keine Belastung der Lohnnebenkosten sein sollte. Mir ist ein System sympathischer, wo alle über eine Steuer an der Finanzierung beteiligt werden. Da bieten sich Vermögenssteuern an.

Sind Sie mit dem derzeitigen Modell der 24-Stunden-Pflege zufrieden?

Öllinger: Nein. Ich habe mir auch in dieser Frage vom Sozialminister mehr erwartet. Das ist nur eine Fortsetzung der illegalen Pflege mit dem Pickerl legal. Der Pflegenotstand ist damit nicht behoben.

Sind Sie bei der Mindestsicherung genauso skeptisch wie bei der Lösung der Pflegefrage?

Öllinger: Im Prinzip stehen wir da vor demselben Problem. Die Mindestsicherung wird für viele überhaupt keine Verbesserung bringen. Da werden Erwartungen geweckt, die nicht erfüllt werden können.

Hält sich die SPÖ zumindest an den versprochenen anderen Umgang mit der Opposition?

Öllinger: In Spurenelementen.

Sie erwarten sich also Verbesserungen von der Geschäftsordnungsreform im Nationalrat?

Öllinger: Da bin ich skeptisch. Dazu wäre ein Konsens zwischen SPÖ und ÖVP Voraussetzung, und den kann ich nicht erkennen.

ZUR PERSON

Der grüne Sozialsprecher Karl Öllinger (55) gilt gemeinhin als der rote Grüne, weil er seine politische Karriere in den Siebzigerjahren im Verband Sozialistischer Studenten begann. Seit 1994 sitzt er für die Grünen im Nationalrat und hat sich als Sacharbeiter einen Namen gemacht, nicht nur im Sozialbereich. Er ist auch stv. Klubobmann. [Fabry]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.05.2007)


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.