Eiszeit in der großen Koalition

(c) APA (Alois Litzlbauer)
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Sechs Monate Rot-Schwarz: Trotz wechselseitiger Blockaden hat keiner Ambitionen auf Neuwahlen.

Im Ministerrat wirken sie wie eine „normale“ Koalition (wenn nicht gerade das Thema Eurofighter ansteht): sachorientiert, nicht unfreundlich. Doch im restlichen Tagesgeschäft fliegen die Fetzen. Nach knapp einem halben Jahr Rot-Schwarz scheint es, als läge die Regierung in den letzten Zügen. Dass sie dennoch weiter bestehen wird, hat handfeste Gründe:
Im Falle von Neuwahlen hat keiner der beiden Großparteien eine sichere Bank auf Platz eins. Die ÖVP liegt in Umfragen zwar immer noch vorne, der Abstand ist aber kleiner geworden.
Aber ohne Wahlen gibt es für niemanden eine ernsthafte Alternative zur großen Koalition. Man werde wohl „weiterwurschteln“ gab Sozialminister Erwin Buchinger kürzlich recht offenherzig zu.
Kanzler und Vizekanzler sind Pragmatiker.
Wilhelm Molterer weiß, dass er noch Zeit braucht, um als Spitzenkandidat in eine Wahl zu ziehen – und Alfred Gusenbauer genießt die Genugtuung, Kanzler geworden zu sein.

Wechselseitige Aggressionen

Die depressive Phase in der SPÖ ist außerdem vorbei: „Wir bestimmen die Themen“, heißt es selbstbewusst aus dem Kanzlerbüro. Eurofighter, Schule, Ortstafeln: Tatsächlich sind die Sozialdemokraten aus der Defensive gekommen, auch wenn die faktischen Erfolge klein sind. „Neutralitätsflieger statt ÖVP-Kampfbomber“ inseriert die SPÖ und verweigert dem Koalitionspartner die Einsicht in den abgeschlossenen Vergleich mit Eurofighter. Weil der Erfolg gar keiner ist? Oder als Retourkutsche auf demütigende Oppositionsjahre, in denen die SPÖ von Informationen ausgeschlossen blieb? Wohl eine Mischung aus beidem. Auch jetzt noch fühlt sich die SPÖ oft ausgebootet: Eine Arbeitsgruppe im Finanzministerium etwa, die Alternativen zur Schenkungssteuer berät, findet unter Ausschluss des roten Staatssekretärs Christoph Matznetter statt. Man fühlt sich provoziert und mutmaßt außerdem, dass die ÖVP den Kanzler hinterrücks gern vernadert.

In Sachen Eurofighter ist das Kriegsbeil noch lange nicht begraben. Molterer will die eingesparten 370 Mio. Euro zum Defizitabbau heranziehen, Gusenbauer hingegen ein Wahlversprechen einlösen und sie plakativ für Bildung verwenden. Auch anderswo spießt es sich gewaltig. Donnerstagabend (noch vor dem Kanzlerfest) gab es einen eineinhalbstündigen Krisengipfel am Ballhausplatz – Kanzler und Vizekanzler mit ihren Kabinettschefs sowie die Regierungskoordinatoren Josef Pröll (ÖVP) und Werner Faymann (SPÖ) nahmen teil. Vieles ist noch offen. Man streitet auch auf Nebenschauplätzen: um die Finanzmarktaufsicht, um die Arbeitslosenversicherung und um die Marktordnung. Da waren die Bandagen zuletzt besonders hart. Die ÖVP schart ihre Bauern um sich und beschuldigt die SPÖ, Förderungen zu blockieren. Als Kanzler Gusenbauer am Freitag zur feierlichen Eröffnung eines Teilstücks der S5 in Niederösterreich schritt, bereiteten ihm 700 Landwirte einen unfreundlichen Empfang. Davor schon hatte Sozialminister Erwin Buchinger bei einer Rede von Landeshauptmann Erwin Pröll demonstrativ den Raum verlassen. Die SPÖ applaudierte, die ÖVP findet das lächerlich: „Er teilt selbst gerne aus („Wir haben die unsoziale Politik beendet“), da muss er auch etwas aushalten“, heißt es dort achselzuckend. Einer der wenigen, der überhaupt nicht ätzt, ist Infrastrukturminister Faymann, auch wenn er es versteht, seine politische Macht still auszudehnen.

VP-Klubchef Wolfgang Schüssel und SP-Parteisekretär Josef Kalina werden hingegen als böser Geist des jeweils anderen gesehen. In diesem Tohuwabohu bleibt die Sachpolitik auf der Strecke. Ab der Regierungsklausur (10./11. Juli) soll es konstruktiver weitergehen, heißt es. Eine vage Hoffnung.

ERLEDIGT/UNERLEDIGT

Der größte Erfolg der großen Koalition ist bisher das Doppelbudget 07/08. Am Mittwoch unterschrieb der Verteidigungsminister einen neuen Vertrag mit Eurofighter. Nur mehr 15 und ältere Flugzeuge werden gekauft. Am Donnerstag gab es eine erste Einigung im Beamtendienstrecht. Der Sonder-Versetzungsschutz für Lehrer läuft aus. Die Klassenschülerhöchstzahl wird ab Herbst auf 25 gesenkt. Für die 24-Stunden-Pflege gilt ab Juli eine Reform. Doch eine staatliche Förderung bekommt nur, wer weniger als 5000 Euro Vermögen hat. Die Wahlrechtsreform bringt Wählen mit 16. Kommende Woche sollen flexiblere Arbeitszeiten und ein neues Ladenöffnungsgesetz beschlossen werden.

Noch offen ist u.a., wie die „Neue Mittelschule“ aussehen wird, Versuche laufen an. Eine Staatsreform steht in den Sternen. Finanzausgleichsverhandlungen zwischen Bund und Ländern beginnen am 5. Juli. 2010 soll eine Steuerreform kommen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.06.2007)

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