„Wir bezahlen für die Kraft der Jugend“

Zigarette wird angezuendet
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Arteriosklerose. Die Autoimmunerkrankung betrifft auch viele junge Menschen. Ein Protein, das in der Jugend schützt, wird im Alter zur Gefahr. Die Basis für einen Impfstoff, der das Fortschreiten von Arteriosklerose verhindert, ist nun gelegt.

Bei übermäßigem Rauchgenuss denken die meisten – angesprochen auf spätere Gesundheitsfolgen – in erster Linie an Lungenkrebs. Die Rauchinhalation (vor allem der Teerstoffe) ist aber auch eine häufige Ursache einer Arteriosklerose und damit verbunden der Gefahr eines Herzinfarkts, Schlaganfalls oder eines Verschlusses von peripheren Gefäßen, z. B. in den Beinen.

Georg Wick kennt die Ursachen der Arterienverkalkung, und er weiß zudem, dass die ersten Gefäßveränderungen bereits bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen nachweisbar sind. Und hier spielt das Rauchen, so der Pathophysiologe und emeritierte Uni-Professor, eine nicht unerhebliche Rolle. In einer beim Bundesheer durchgeführten Reihenuntersuchung von 17- und 18-jährigen Stellungspflichtigen hat die Arbeitsgruppe Wick festgestellt, dass 28 Prozent der untersuchten Männer bereits Anzeichen einer beginnenden Arteriosklerose haben. In den Reihenuntersuchungen wurde per Ultraschall eine verdickte Halsschlagader – und damit das erste Zeichen der beginnenden Gefäßerkrankung – sichtbar.

Junger Männer rauchen mehr

In einer Untersuchung von Frauen im Alter von 19 bis 21 Jahren waren es immerhin auch 20 Prozent. Bei der Abklärung der Konsumgewohnheiten war bald klar: Der Anteil der Raucher bei den klinisch noch gesunden Jungmännern war um ein Vielfaches höher als jener bei den jungen Frauen.

Die Immunologie der Arteriosklerose ist einer der Forschungsschwerpunkte in dem von Wick geleiteten Labor für Autoimmunität am Biozentrum der Med-Uni Innsbruck. Wobei im Fokus nicht die Behandlung einer bereits fortgeschrittenen Arteriosklerose, sondern vielmehr die Entstehung dieser Gefäßerkrankung steht. Und hier kann Wick mit einer erstaunlichen Entdeckung aufwarten: Ein Wirkstoff wurde an Mäusen getestet, erprobt und voll entwickelt – ein oral applizierbarer Impfstoff, der im frühen Stadium das Fortschreiten einer Arteriosklerose verhindert.

Auch für den Menschen wurde bereits ein auf den gleichen Prinzipien beruhender, oral applizierbarer Impfstoff entwickelt. Die klinische Erprobung dieses Impfstoffs sei aber, wie Wick betont, nicht Aufgabe der Grundlagenforschung.

In einer wichtigen Etappe des Innsbrucker Forschungsprojekts stand das von Wick koordinierte und bis 2012 laufende EU-Projekt Tolerage. Da präsentierten Wick und sein Team das sogenannte Autoimmune Konzept der Arteriosklerose. Die Beeinträchtigung der Gefäße beginnt nämlich als entzündliche Erkrankung. Als Auslöser erwies sich der Stresseiweißstoff HSP60 (Hitzeschockprotein 60). „In den frühesten Stadien der Arteriosklerose wandern Zellen des Immunsystems, die mit HSP60 reagieren, in die innerste Schicht der Arterienwand ein“, sagt Wick.

Angriff auf eigene Arterien

Das Immunsystem hat bekanntlich die Aufgabe, zwischen körpereigenen und körperfremden Molekülen zu unterscheiden. „Wir konnten zeigen, dass es am Beginn zu einer Immunreaktion kommt“, sagt Wick. Das Immunsystem greift dabei die eigenen Arterien an; es handelt sich also um eine sogenannte Autoimmunerkrankung. HSP60 ist ein Molekül, das unter Einwirkung von verschiedensten Formen von Stress – beim Menschen z. B. Stress durch hohen Blutdruck, Rauchstoffe, hohes Cholesterin etc. – sowohl von Bakterien als auch von Zellen höherer Organismen gebildet wird.

Gesunde Menschen entwickeln eine schützende Immunreaktion gegen HSP60 von Bakterien und Parasiten. Jene Zellen, die die Arterien auskleiden (Endothelzellen), produzieren nach Stress ebenfalls (natürlich menschliches) HSP60.

Da aber das menschliche und das bakterielle HSP60 sehr ähnlich sind, wendet sich das Immunsystem beim Auftreten von Risikofaktoren (wie eben dem Rauchen) in Form einer entzündlichen „Verwechslungsreaktion“ (Autoimmunreaktion) gegen das eigene, prinzipiell schützende HSP60. Die in der Jugend schützende Immunreaktion wird im Alter also zur Gesundheitsgefährdung. Wick: „Wir bezahlen für die Kraft der Jugend.“

Impfstoff aus Peptiden

HSP60 enthält „gefährliche“ arteriosklerosefördernde Anteile und solche, die zu einer schützenden Immunreaktion führen. Das Innsbrucker Team definierte die ersteren HSP60-Anteile (Peptide) und entwickelte daraus den erwähnten Impfstoff.

Wie Wick im Fachjournal „Nature Reviews Cardiology“ schon 2014 ausführte, existiert HSP60 seit 2,5 Milliarden Jahren. Vor 360 Millionen Jahren entwickelte sich die adaptive Immunantwort. Kein Wunder also, dass man HSP60 in den 4000 Jahre alten ägyptischen Mumien nachweisen konnte.

IN ZAHLEN

40.000 Herzinfarkte und Schlaganfälle weist die österreichische Gesundheitsstatistik pro Jahr aus.

20 Prozent der Österreicher leben in der Gefahrenzone, ihnen droht infolge einer fortgeschrittenen Arteriosklerose ein Infarkt oder Schlaganfall.

28 Prozent der jungen Männer (17/18 Jahre) haben bereits Anzeichen einer Arteriosklerose. Bei den Frauen sind es 20 Prozent.

LEXIKON

Die Arteriosklerose ist eine Verhärtung und Verengung von Arterien. Bei einer chronischen Erkrankung können Herzinfarkt und Schlaganfall die Folgen sein. Ursache ist eine Autoimmunreaktion, das heißt, das Immunsystem unterscheidet nicht mehr zwischen eigenen und fremden Molekülen.

Das Hitzeschockprotein 60 tritt als körpereigenes HSP60, aber auch als Bestandteil von Infektionserregern auf. Aufgrund der hohen Ähnlichkeit tritt eine immune Verwechslungsreaktion auf.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.01.2016)

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