Die Kettensäge in uns

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Er schert sich nicht um Legis- laturperioden, auch nicht um die Finessen von europäischer Verwaltung und Brüsseler Machtgeplänkel. Der Wald. Subjektive Forstwege ins Thema Macht und Umwelt.

Es fällt in die Augen, dass dasmenschliche Leben, sofern es Vegetation ist, auch das Schicksal der Pflanzen habe. Wie sie, wird Mensch und Thier aus einem Saamen gebohren, der auch als Keim eines künftigen Baums eine Mutterhülle fordert. Unsre Lebensalter sind die Lebensalter der Pflanze; wir gehen auf, wachsen, blühen, blühen ab und sterben. Ohne unseren Willen werden wir hervorgerissen und niemand wird gefragt: welches Geschlechts er sei? von welchen Eltern er entsprossen? auf welchem Boden er dürftig oder üppig fortkommen? durch welchen Zufall endlich von innen odervon außer er untergehen wolle? In allem diesem muss der Mensch höheren Gesetzen folgen, über die er so wenig wie die Pflanze Aufschluss erhält, ja denen er beinah wider Willen mit seinen stärksten Trieben dienet. Solange der Mensch wächst und der Saft in ihm grünet, wie weit und fröhlich dünkt ihm die Welt! Er streckt seine Äste umher und glaubt zum Himmel zu wachsen.“

Wenn es um die Umwelt geht, kommt manum den Wald nicht herum, ja man kommt kaum aus ihm heraus. In Ermangelung einer Textausgabe der „Kritischen Wälder“ von Johann Gottfried Herder, die aber keineswegs von Wäldern handeln, habe ich dieses Zitat aus dem ersten Band seiner „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit“ hierher gesetzt. Ich bin Baum, wir sind Wald, nicht mehr oder weniger scheint es zu sagen. Unsere Unternehmungen, heißt es an anderer Stelle, mögenaus übergeordneter Perspektive nicht mehr und nicht weniger bedeuten als die Aktivitäten eines Baums auf Erden. Wer ich sagt, kann Baum, wer wir sagt, kann genauso gut Wald sagen.

Wer Umwelt sagt, muss sowieso Wald sagen. Man sieht zwar den Wald vor lauter Umwelt kaum mehr. Dennoch sei daran erinnert, dass das unschöne Wort „Nachhaltigkeit“ aus der Forstwirtschaft kommt. Man schlägere nicht mehr Bäume, als man nachpflanzt, besagt es. Mit dieser Maxime wurde die Nachhaltigkeit zur Quelle einer mechanistischen Wirtschaftsweise, der Vermessungund Quantifizierung von Bäumen, welche die Bewirtschaftung des Waldes erforderte. Damit veränderte sich der Wald: Er wurde vom Unterholz befreit, von Mischwald auf Monokultur umgestellt und so bepflanzt, dass der Ertrag kontrollierbar, zählbar und profitabel wurde.

Umweltist ein seltsames Wort. Die Welt um einen herum. Die Umweltung aller Werte? Kann ich die Umwelt da draußen von meiner Innenwelt so ohne Weiteres trennen? Herder, der Stürmer und Dränger, fühlte, dass das nicht geht. Wir versuchen mit dem Wort Umwelt, uns als Naturwesen von der uns umgebenden Natur zu trennen. Menschenunbeeinflusste Natur gibt's nun einmal nicht, zum anderen bleiben wir trotz aller prometheischen Bemühung Naturwesen. Wenn wir über die Natur reden, reden wir also immer über uns selber. Skepsis gegenüber dem Wort Umwelt ist daher angebracht. Umwelt ist die Welt, die wir gestalten und mit der kleinen Vorsilbe „Um-“ so weit von uns wegrücken, dass andere ihr Böses angetan haben können und aus uns ein anderes „Wir“ wird, das gute „Wir-Wir“, scharf geschieden vom bösen „Ihr-Wir“. Wir, das sind wir guten Fahrradfahrer, ihr seid die Bösen, vom Autofahrer bis zum Ölkonzernlenker und Ölkriegsminister. Multiple Persönlichkeiten sind wirtrotzdem allesamt. Deswegen gibt es so etwaswie die Lust an der Apokalypse. Wir begrüßenden selbst gemachtenUntergang, indem wirihn beklagen und dieWelt zur Umkehr aufrufen. Umkehr und Umwelt! Welt, kehre um! Umwelt, kehr vor der eigenen Tür! Man kann die Tendenz zum Umweltfundamentalismus – der nur eine Unterabteilung des allgemein wachsenden Fundamentalismus ist – nicht von der Bereitschaft trennen, an die bevorstehende Katastrophe zu glauben. Einerseits glauben wir, sie sei wohlverdient. Andererseits trifft auf uns der Befund der Risikogesellschaft zu: Wir sind allzeit bereit, Gefahren zu verdrängen. Einerseits fühlt sichdas wohlverdiente Schicksal wohlig an, andererseits wollen wir davon überhaupt nichts wissen. Einerseits erarbeiten wir uns unser Los, andererseits wollen wir es nicht kennen. Zugleich lernen wir, uns von der publizierten und in Umweltdingen oft genug hysterisierten öffentlichen Meinung abzugrenzen, die ist doch eh bloß Gerede. Andererseits, der Klimawandel steht fest, den haben wir gemacht, oder haben wir bloß die Entwicklung der Natur bestärkt, und könnte am Ende hinter all dem nicht auch ein bisschen göttliches Design stecken?

Die UNO hilft uns mit ihrem Klimabericht bei solchen Mutmaßungen sehr, und noch mehr hilft uns die „Kronen Zeitung“, der lokale Konterpart der Weltorganisation. „Umwelt-Drama noch viel ärger“, meldete heuer eine Schlagzeile. Im Blatt lesen wir von „tödlichen Hitzeperioden, Überschwemmungen, Hungerkatastrophen, Dürre“. Ferner droht „ein meterhohes Ansteigen des Meeresspiegels – das weltweite Umwelt-Desaster ist noch weit schlimmer als angenommen“. Selbst die Meinungsfreiheit gerät in klimatische Bedrängnis, denn „die schlimmsten Passagen wurden ausgerechnet von den größten Umweltsündern, USA und China, hinausreklamiert“, aus dem UNO-Bericht.

Es wäre nicht das erste Mal, dass mächtige Staaten die UNO daran hindern, eine bessere Welt zu schaffen. Neu ist allerdings, dass die „Kronen Zeitung“ auf der Seite ei- ner Organisation steht, die sie bisher eher zu den nutzloseren Quasselbuden dieser Erde gezählt hat, gleich nach dem Europäischen Parlament und dem Büro von Peter Pilz. Erderwärmung, Klimawandel und menschliche Sündigkeit machen es möglich. Und natürlich das Schielen nach der Auflage, denn Umwelt – das will die Welt lesen.

Wo aber bleibt der Wald? Vor 20 Jahren hörte man, er sitze auf Nadeln, seine Tage seien gezählt, und jetzt wächst er, als wäre nichts geschehen. Er hat eine lange romantische Metapherngeschichte, die Lichtung, auf der die Blaue Blume blüht, wo der Vogel als Prophet seltsame Lieder singt. Später wende- te sich die Freude am Wald ins Braune. Der deutsche Wald wurde vom Inbild der Innerlichkeit zum Abbild von Abscheulichkeit. Gerne nennen sich heute reaktionäre Publizisten „Waldgänger“, Stifter nachlallend, auf dessen teils katastrophisches Waldbild wir uns hier nicht einlassen. Man kann sich mit dem Hinweis trösten, dass der Wald nicht nur in Deutschland wächst, sondern auch anderswo. Wo er selbstverständlich ebenfalls als Metapher dient, man denke nur an James Fenimore Cooper, Henry David Thoreau (Walden!) oder Ralph Waldo (!) Emerson.

„Der Gefühlswert des Wortes hat sich im Lauf der Zeit stark verändert. Im Mittelalter gilt der Wald als ein unwirtlicher Ort, wo wilde Thiere und böse Geister ihr Wesen treiben, wo der Mensch aber nicht gerne weilt. Darum tritt in Dichtungen Wald für die Einöde, Wüste des Orients ein.“ Wüster Wald statt Westerwald, davon sind wir weit abgekommen. Der Wald ist längst unser Wald, denn, wie es im „Deutschen Wörterbuch“ von Jacob und Wilhelm Grimm unter dem Stichwort „Wald“ heißt, „allmählich verlor der Wald, der ungeheuren Rodungen anheimfiel, seine Schrecken, und je mehr man in Deutschland zu einer Lebensweise überging, bei der viele Menschen dichtgedrängt nebeneinander wohnen muszten, desto mehr regte sich die Freude an der Freiheit und Ungebundenheit, der Stille und Schönheit des Waldes“.

Kennt jemand den Wald, den metaphernreichen, als Wirtschaftsmetapher? „In der Unternehmerphase“, lese ich in einer betriebswirtschaftlichen Studie des Bremer Soziologen Michael Windzio, werde „die Verteilung von Gründungen und Schließungen durch die ,Waldmetapher‘ beschrieben. Kleine, junge Unternehmen verdrängen große, ältere sukzessive aus den Märkten und ersetzen diese. Wie also beim Austausch älterer Bäume durch kleine, jüngere in einem Wald. Die Betriebspopulation eines Marktes wird nach der Waldmetapher permanent erneuert. Es müssten demnach eigentlich eher größere, ältere Organisationen höhere Sterberaten aufweisen.“ Weit gefehlt. Am ehesten folgten verwüstete Märkte der Waldmetapher, der Holz- und der Möbelmarkt liegen ironischerweise bei den kaputten Märkten im Spitzenfeld.

Geht man in sich, wenn man in den Wald geht? Wald kann auch so viel bedeuten wie: eine Menge von Dingen – ein Wald von Lanzen, ein Wald von Tüchern, ein Wald von Häusern, nein, das gerade nicht. Aber Wald und Wust, das ist nicht so weit auseinander, wie man meinen möchte. Das Innere des Menschen, ein Wust, ein Wald, in dem man sich verläuft. Im Wust der Dinge in einem drin sich verirren und sich vor dem Hexenhaus im Innersten fürchten.

Die Wälder meiner Heimatgegend waren durchwegs begehbar; die Bäume standen so locker, dass man im Winter mit Skiern zwischen ihnen fahren konnte, was zwar manchmal gewagt war, aber meistens gelang. Auf dem weichen, durch die Nadeln gebildeten Waldboden ging man federnd; eine Erholung vom Geröll beim Abstieg, eine Lockerungsübung beim Aufstieg. Licht fiel schräg von oben zum Boden, es war untertags nie dunkel, Unterholz oder Gestrüpp gab es nur am Waldrand. Dort, wo frisch geschlägert worden war, wuchsen Brombeeren und Himbeeren. Nur ein paar Jahre lang, denn hier wurde nachhaltig gewirtschaftet. Hier griffen Försterdurch, einen Urwaldkann man nicht durchwandern. Der Wald, beinahe ein Innenraum. Im gedämpften Licht, unter dem Dach der Bäume, redet man freier. Man muss auf Wurzeln achten, wenn man auf- oder absteigt, der Wind lärmt mächtig im Gezweig, es rauscht und ächzt, und doch ist der Wald ein Ort des Gesprächs, der Zivilisation. Oberhalb von ihm wartet die Baumgrenze, dann merkt man erst, was man an seinem Wald hat. Die Sonne attackiert das Gehirn, der Wald schien es doch zu schützen. Deswegen der Wald als Metapher der Zivilisation, der Innerlichkeit? Zumindest des schützenden Schattens.

Vor Schwärmereien schützt mich die Geschichte meiner Vorfahren, die man mir mündlich weitergegeben hat. Auf allen Seiten bricht der Wald in diese Geschichten ein. Dem einen Urgroßvater ist, weil er bis zum Bauch im Schnee waten musste, um das Holz herauszubringen, was früher leichter im Winter geschehen konnte, beim Holzfällen das Blut „verfrört“, wie es in der Verwandtschaft hieß. Der andere Großvater war nicht einmal kleiner Waldbesitzer, der war Holzknecht und brachte es trotz härtester Arbeit zu nichts außer ein paar Erfrierungen.

Wie der Wald, so die Bewohner. Von ungebildeten Leuten sagte man, ehe der Mensch die Vororte schuf, sie kämen aus dem Wald. Im Mittelalter galt es als „eine starke Verwünschung, wenn man jemand in den Wald wünschte“, heißt es bei den Gebrüdern Grimm. Die Köhler und Pecher waren harte und undurchsichtige Gesellen. Köhler und Pecher gibt es nicht mehr, die Härte bei der Holzarbeit ist geblieben. Der Nachbar hat Ekzeme auf beiden Unterarmen, von der Chemie, mit der er das Aufkommen von Unterholz bekämpft. Forstwirtschaft ist für den Einzelnen nicht ohne Risiko. Man arbeitet im Akkord. Ein kaputter Rücken ist noch das Mindeste, ein ungeschickt gefällter Baum kann einen auch erschla-gen, eine Kettensäge ist kein Spielzeug, Traktoren kippen, allein ist der Bauer im tiefen Tann,wenn ihn sein Frontlader zerquetscht. Aberwas soll man machen, man muss das Holz herausbringen; wenn man es im Lagerhaus kauft, kostet es viermal so viel. Holz ist ein Energieträger, und wenn Öl und Gas teurer werden, zieht auch der Holzpreis an. Man sagt, es sei der Markt, aber es ist der Holzhändler. Auch in demokratischen Zeiten ist der Forst übrigens in adeliger Hand, zumindest scheint es so. Barone, Grafen, Fürsten, Äbte und Pröpste gebieten über Fichten, Buchen, Kiefern und Tannen. Das feudale Gefühl für Zeit verträgt sich offenbar besser mit den Ansprüchen der Nachhaltigkeit.

Allerdings bedurfte es der Aufklärung und der bürgerlichen Revolution, um – bei gleichbleibenden Besitzverhältnissen – die Wälder dem Volk, also uns allen zu öffnen. Bei beinahe gleichbleibenden Besitzverhältnissen muss man sagen: Die Existenz der Bundesforste, des größten und übrigens wirtschaftlich durchaus erfolgreichen Waldbesitzers, hat etwas ungemein Beruhigendes. Manchmal auch etwas Beunruhigendes, wenn eine privatisierungswütige Regierung am Drücker ist. Erstaunlicherweise ist es an dieser Front bei uns noch ruhig geblieben. Vermutlich nicht mehr lange.

Mancher Wald wird einfach umgelegt,wenn Geld gebraucht wird. Davor schützt Adel nicht wirklich, aber die Massierung von Waldeigentum in feudaler Hand verhindert einigen Missbrauch. Holz wächst in Jahresringen, es lässt sich nur alle paar Jahrzehnte nutzen, aber nicht beschleunigt wieder aufforsten. Der Wald wächst, wie er wächst, das verstehen Leute, die in Zeitdimensionen von mehreren Generationen denken, besser.

Einst diente der Wald als Rückzugsort für Räuber, als Versteck für die Rächer der Enterbten, für Robin Hood und seinesgleichen. In der Stadt, wo das Böse herrscht, kommen die edlen Räuber dann zu Tode. Der Wald ist der klassische Ort für Partisanen, für Einzelne, die mit geringen Menschenmengen gegen große Reiche kämpfen, vom Teutoburger Wald über den Balkankrieg bis nach Vietnam. Shakespeares Wald in „Macbeth“ nicht zu vergessen, der sich am Ende doch bewegt und sich als gut getarntes, todbringendesHeer herausstellt. „AgentOrange“, das Pflanzengift der Amerikaner,richtete sich in Vietnam gegen den Wald unddamit gegen die Menschen. Es entlaubte die Bäume, damit diese keinen Blickschutz mehrböten, und wurde ebenso zur Metapher lebensfeindlicher Grausamkeit wie der verbrannte Wald bei Karl Kraus in den „Letzten Tagen der Menschheit“: „Die Seele war in meinem Dom, / ihr Christen hört, ihr ewges Rom! / In meinem Schweigen war das Wort. / Und euer Tun bedeutet Mord.“

In Hainburg wurde ein Auwald zur Kampfstätte der österreichischen Innenpolitik, undnur ein Wald machte es möglich, dass die politischen Leidenschaften so gebündelt auftraten. Unvergesslich, wie die entschlossenen Forstarbeiter ihre Kettensägen anwarfen, um mit dem Geheul der Motoren die Demonstranten einzuschüchtern. Unvergesslich, wie die ersten paar fallenden Stämme die Entschlossenheit dieser Stadtkinder anstachelten.

Unser Wald, wir erkennen es an da und dort aufgeschichteten Stämmen, an aufgesprayten oder mit Kreide angebrachten Markierungen, an tiefen Spuren bereifter Fahrzeuge, ist kein Kampfgebiet mehr, er ist Wirtschaftsgebiet. Es gibt in unseren Breiten kaum unbewirtschaftete Wälder. Es wird geschlägert und gepflanzt, der durchschnittliche Fichtenwald in Niederösterreich lässt sich nur auf Holzwegen begehen; die dünnen Stämme stehen so knapp beieinander, dass kein Durchkommen ist. In den Alpen herrscht eher der Kathedralenwald vor.

Andererseits, Wirtschaft ist Krieg, ein Wirtschaftsgebiet ist eben doch ein Kampfgebiet, wenn auch ein sublimiertes. Der verbrecherische Zugang hat noch weniger Zeit als der kapitalistische. Um Grünland in Bauland zu verwandeln, zünden Mafiosi Wälder an, und das in Gegenden, wo diese ohnehin nur mehr spärlich sind. Das würden Marxisten derPhase einer primärenAkkumulation zurechnen, in der immer das Verbrechen regiert, ehedie Besitzenden nach dem Gesetz rufen. DenBrandstiftern kommt zustatten, dass in südlichen Ländern Wälder nicht mit Waldwegen erschlossen werden, wasim Brandfall der Feuerwehr den Zugang versperrt, und dass sie nicht durchforstet, also vom Unterholz und von gefallenen Stämmen befreit werden, wodurch die Flammen umso schneller um sich greifen.

Waldbrand und Verbrechen: Der Wald ist durchaus symbolkräftig geblieben. Die Attacke der Brandstifter auf den Wald, die entweder Bauland gewinnen oder mindestens von der Neubepflanzung profitieren wollen, trifft deswegen so sehr, weil der Wald uns allen etwas bedeutet. Er steht, und er steht für Gemeinschaftseigentum. Auch wenn er privat genutzt wird, gehört er doch uns allen, produziert Sauerstoff, bindet Schadstoffe, erhält Leben. Was schnell zerstört wird, ist manchmal unwiederbringlich dahin (im Fall der Amazonaswälder), oder es dauert lange, bis es nachwächst, wie etwa tausendjährige Olivenhaine.

Der Wald steht für Gemeinschaft. Das hat einer der schärfsten Beobachter und Kritiker unserer Gegenwart, der Publizist Claus Koch, am Beispiel eines kleinen Skandals hervorgehoben, der heuer entstand, als Chinesen einen 500 Hektar großen Wald beim niedersächsischen Celle kaufen wollten. Das berührt Fragen der durch globalistisches Wirtschaften bedrohten nationalen Souveränität. „Das Schwinden des Nationalgefühls für den Wald als ein kollektives Erbe, das nicht ohne Weiteres zu einem Gut umgewandelt werden kann, ändert nichts daran, dass die Entäußerung nationalen Territoriums nunmehr zu einem politischen Thema von großer Brisanz werden wird.“

So wird der Wald wieder einmal zum politischen Schauplatz, wie Claus Koch im 85. Brief seines Mediendienstes „Der neue Phosphorus“ zeigt: „Eine Waldpolitik, die heute ins Werk gesetzt wird, ist unvermeidlich Gesellschaftspolitik in eine Zukunft hinein, die zunächst durch Prognosen eingeschätzt und erklärt werden muss. 20 bis 30 Jahre sind für eine biologische Generation des Menschen wie des Waldes eine plausible Zeitstrecke, die projektiv erschlossen werden kann. Die Regierungen können, aber müssen auch diesen Zeitraum in Betracht nehmen. Noch einmal: Die Staaten sind, wenn sie ihre Nationen auf eigenem Territorium behaupten wollen, durch die Globalisierung zu einer Waldpolitik, die immer auch Gesellschaftspolitik sein muss, geradezu gezwungen. Sie dürfen diese Pflicht nicht dem Markt überlassen. Dem Markt, der zudem von anderen Staaten ohne Rücksicht auf andere benutzt wird.“

Deswegen taugt der Wald auch als Metapher für öffentliches Eigentum, er ist ein Symbol für eine Gesellschaft, die noch ein Interesse daran hat, sich selbst zu organisieren und vernünftig zu verwalten. Dabei geht es nicht um die Verteidigung nationaler Interessen, wie Koch zeigt, obwohl Länder mit wenig Wald natürlich ihre Industrien mit Rohstoffen versorgen müssen. Es geht um die Politisierung der Rohstofffrage schlechthin, was ja jüngst auch am Konflikt um die Arktis sichtbar wurde. Globalisierung stellt die Frage nach dem öffentlichen Interesse und den Grenzen des Privateigentums sehr sinnfällig am Beispiel des Waldes. Der Wald schert sich weder um die Dauer der nächsten Legislaturperiode noch um die Finessen von europäischer Verwaltung und Brüsseler Machtgeplänkel. Waldpolitik: Die Pfadfinder sind schon da. Denn das menschliche Leben strebt danach, sich nicht mit dem Schicksal von Pflanzen zu begnügen. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.10.2007)

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