Latzhosen und lange Haare

Lingens warnte, Zilk marschier- te mit, Heinz Fischer schloss sich an, Othmar Karas wollte die Sache nicht den Linken überlassen. Und Kanzler Kreisky belehrte den jungen Alexander Wrabetz. Vor 25 Jah- ren: Österreichs Friedensbewegung – Notizen zu einem fast vergessenen Jubiläum.

Im Nachlass Otto M. Zykans fand ich eine Publikation der Friedensbewegung, ebenso die Doppel-LP mit Hundertwasser-Cover. Friedensreich gab das Bild für die Vorderseite, Hrdlicka jenes für die Rückseite. Staunend erkannte ich, wie sehr ich die politische Welt meiner Jugend übersehen hatte. Da hatten Politiker und Politikerinnen aller Couleurs einmal in Österreich an einem Strang gezogen, da hatten Dichterinnen und Dichter, Künstlerinnen und Künstler von Kerschbaumer bis Fried, von Turrini bis Tausig, von Pluhar bis Danzer, von Resetarits bis Hackl, von Christa Schwertsik bis zu den „Liederlich Spielleut“, von Otto Clemens bis Johanna Tomek, von Arthur West bis Hans Thessink – insgesamt 200 – einige Wochen ihrer Zeit und ihrer Tätigkeit in den Dienst des Friedens gestellt – und 25 Jahre danach erinnert sich niemand öffentlich daran.

Der Löcker Verlag publizierte eine Friedenspublikation, die, sich auf Suttner berufend, von Brecht bis Jandl, von Pellert bis Pluch Texte aufbot. Die Friedensbewegung selbst edierte bis 1989 eine Zeitschrift namens „Betrifft Frieden“. Da entstand ein Tonträger, auf dem Harry Belafonte und Konstantin Wecker, Hansi Dujmic, „Chaos de Luxe“ und Ludwig Hirsch vereint waren. Ein kroatisch-burgenländisches Tamburizza-Ensemble sang, am 6. November 1982 in der Stadthalle. Der Kärntner Partisanen-Chor gab „Morgen brechen wir auf“. Eigentlich hätte er den Auszählreim Otto M. Zykans „Ping Peng Peng Katakomb“ singen sollen. Margit Niederhuber und Zykan fuhren nach Kärnten, probierten erfolglos, Zykan trat – nachdem er ermunternd genötigt wurde – schließlich als Solist auf, es wurde die Geburtsstunde eines Hits. Zykan schenkte der Organisatorin Margit Niederhuber das Manuskript: „Knibber Knabber Dummian, nimmt Uran statt Lebertran und wundert sich dann schief und bös, warum wieso er so nervös, warum in seinem Kopfgekrös so störend quält das Kriegsgetös.“

Da, wo es hängt, erinnert es noch heute an die historische Zeit. Ungefilmt blieben die nächtelangen Organisationsbesprechungen, die aus der Wohnung nahe der Mariahilfer Straße ein Pressebüro machten. Margit Niederhuber verstörte die österreichische Welt mit einem männlichen Sekretär, sie hatte sich für die Organisation durch die Tourneeleitung von Musikern und Musikerinnen empfohlen und so auch einen finanziellen Polster angelegt. Ein Notizbuch ist erhalten: mit Finanzierungsplänen, Redaktionschlüssen der Medien von „Rennbahn- Express“ bis „Z-Club“, Gulda gar war angefragt. Die Agenturen boten ihre Künstler an. Keiner konnte es sich leisten, nicht mitzusingen. Fendrich im Chor.

Die Jugendredaktion des ORF darf einen Tag vor dem Friedensmarsch im Mai 1982 in Wien Kreisky mit zwei Jugendvertretern besuchen: Einer ist Vertreter des katholischen Mittelschülerverbandes, der sich wegen der Beteiligung kommunistischer Verbände nur am Friedensgebet, nicht am Marsch beteiligen wird. Der Vertreter der sozialistischen Studierenden fragt Kreisky, ob er beim Friedensmarsch mitgehen würde, und Kreisky antwortet, er sei in Vorarlberg, aber selbst wenn er in Wien wäre, würde er nicht mitgehen, weil es nicht seine Aufgabe sei.

Kreisky: „Keine Illusionen!“

Kreisky erzählt vom Marschieren und Liedersingen seiner Jugend: „Nie, nie wollen wir Waffen tragen.“ Kreisky ist skeptisch: „Ich bin dafür, dass junge Menschen sich engagieren, aber ich bin auch dafür, dass man sich keine Illusionen macht. Mit Demonstrationen allein kann der Frieden nicht gerettet werden.“ Kreisky sagt, dass er den Krieg in Afghanistan nicht übersehen könne und die Friedensbewegung daher einäugig sei. Der Vertreter der sozialistischen Studierenden, Alexander Wrabetz, hört Kreisky sagen: „Ich glaube, dass ihr euch das nächste Mal alles gründlicher überlegen müsst und sehr viel tiefer gehen müsst.“

25 Jahre später treffen einander Wrabetz und Küberl genau am Tag des Friedensmarsches, am 15. Mai, und erinnern sich – wie wird aus der Erinnerung Geschichte? Die Beteiligten müssen überredet werden, aus der Privatsache Erinnerung eine „Geschichte“ zu machen. Othmar Karas wollte damals den Frieden nicht den Linken überlassen, Lingens warnte vor den Forderungen der Friedensbewegung, Zilk marschierte mit, Dohnal bekannte sich, Heinz Fischer schloss sich an. Häupl ist dabei, Busek bedauert, im Ausland zu sein, wenn 30.000 im Mai 1982 marschieren und sich 70.000 am Rathausplatz sammeln. 1200 Wachebeamte sind aufgeboten – ein Höchststand der Zweiten Republik. Kerschbaumer schreibt: „Josef Cap sehe ich sein blaues Halstuch richten, lachend im Gespräch mit Alfred Gusenbauer, und dann, wie er ganz vorne am Bühnenrand steht, unter sich ein Menschenmeer, und redet lange und frei hat viel Zwischenapplaus.“

Da wurde Musikgeschichte geschrieben – und die merkte es nicht. Es hatte bereits vorher Revolutionen gegeben, bei denen die Musik das Signal zum Aufbruch war: Das portugiesische Lied „Nach dem Abschied“ und das verbotene „Grândola, Vila Morena – Grândola, braungebrannte Stadt“ waren das Signal für die portugiesische Nelkenrevolution im April 1974. Dass die Musik und die Dichtung aber eine politische Bewegung trugen, dass den politischen Würdenträgern und Repräsentanten nur eine halbe Bühne geboten wurde, dass die politischen Organisationen von linken und rechten Studentenorganisationen, von kirchlichen und Arbeitervereinigungen und Verbänden wie jener „Arbeitsgemeinschaft Nein zu Zwentendorf“ bis „Frauen für den Frieden“ zwar mitmachten, aber nicht vorausmarschierten – ist das nicht genug für Geschichte? „Es war eine Bewegung in einer bewegten Zeit“, sagt Erika Pluhar. „Als die Bewegung verhärtete und einzelne Gruppierungen sie für sich nützen wollten, hörte sie sich auf.“

Der Verein Friedensbewegung, angemeldet am 16. November 1982, dessen Obmann bis Jänner 1984 Zykan, danach Michael Scharang war, löste sich im Februar 1994 auf. Im April 1989 organisierte er noch eine Kundgebung vor der Albertina. War es wirklich so hindernislos, im neutralen Österreich, im Fahrwasser der Vietnam-Kundgebungen, war es denn so einfach für den Frieden zu sein, wie es der Politologe Anton Pelinka meint.

Wien Südbahnhof, 11. Mai 1983. „Expresszug 233, Planabfahrt 13 Uhr, nach Venedig, fährt ab.“ Auf dem Zug steht „Atomkrieg verhindern – Abrüsten“, daneben ein Panzer gekritzelt, ähnlich der Kinderzeichnung einer Ameise und rot durchgestrichen. Die Stimme aus dem Bahnhofslautsprecher ist noch ländlich-männlich, Chris Lohner sprach noch nicht am Bahnhof. Wilfried Scheutz trägt seinen mit Friedenspickerln beklebten Gitarrenkoffer in der Hand, Otto Tausig diskutiert schon, Erika Pluhars Tochter Anna sitzt mit Margit Niederhuber und Annemarie Türk auf dem Boden und durchblättert die Organisationsmappe. Sigi Maron fängt schon an zu singen und zu spielen, ein Glückwunschtelegramm wird verlesen, der Friedenszug setzt sich in Bewegung.

„Unaufhaltsam fährt der Friede in das Land“ nannte der ORF seine Dokumentation, in der Sendereihe „Ohne Maulkorb“. Der ORF war dabei, eine ganze Woche lang fuhr er mit, das Unternehmen bündelte die Aufmüpfigkeit auf produktive Weise, erkennt die Historikerin Evelyne List. Rudi Dolezal präsentierte im rosa Leiberl, das Publikum wurde mit „Euch“ angeredet.

Internationale der Vernunft

War es zu wenig für Geschichte? Dass eine Generation, die großteils erst nach dem Krieg geboren wurde, „in den Frieden hinein“, wie Judith Keller schrieb, eine Generation, die also nicht erst durch Schaden klug geworden war, dezidiert für den Frieden Partei ergriff, nachdem sich in diesem 20. Jahrhundert verehrte Leute wie Ravel für den Krieg heiser geschrien hatten. Ist es zu wenig für Geschichte? Die Friedensbewegung ist niemals geehrt worden, es gab keinen Nobelpreis. André Heller forderte eine Internationale der Vernunft.

Am nächsten Tag. Die Kamera zeigt auch das Frühstück in österreichischen Pensionen, Semmerl und Kaffee, dann reist man weiter nach Bruck an der Mur. Im Zug werden Schlager gesungen, Presseaussendungen in die Schreibmaschine getippt, Zykan liest – gegen den fröhlichen Lärm um ihn herum – eine Bartók-Partitur. Die meisten Männer tragen Latzhosen und lange Haare, Erwin Steinhauer moderiert im Sakko in Klagenfurt: „Würde sich die Praxis herumsprechen, dass jede schwachsinnige Äußerung eines Politikers automatisch zu seinem Rücktritt führt, wir hätten überall Neuwahlen.“ Steinhauer hatte einen amerikanischen Ex-Verteidigungsminister zitiert, der gemeint hatte: „Es gibt Wichtigeres als den Frieden.“

Sie sitzen auf den Plastiksitzen der Züge der ÖBB, Otto Tausig neben Lena Rothstein, mit Papierkaffeebecher in der Hand, André Heller sinniert über seinen Liedertext, wartet auf Wilfried, bis der seine Gitarre gestimmt hat, und fragt ihn: „Wolln ma das miteinander singen?“ Sie probieren das Lied von Sacco und Vanzetti.

„Friede ist keine Mode“

Heller bemerkt am 12. Mai 1983 im Grazer Arbeiterkammersaal: „Und entgegen allen Falschmeldungen ist diese Friedensbewegung so gar nicht manipulierbar, weder vom Kreml noch vom Weißen Haus. Das ist ja gerade das Furchtbare, das macht ihnen so Angst. Unser einziger Ratgeber ist unsere tiefe Sehnsucht, in Würde zu überleben, und dass wir nicht unter einem Klubzwang leiden und dass wir nicht an etwas glauben, weder an den FC Vatikan noch an den Gewerkschaftsbund, sondern lediglich an das unzerstörbare Gesetz, dass wir füreinander und für diesen Stern verantwortlich sind.“ Heller kann nicht ganz der Opferrolle entgehen: „Wofür wir unausgesetzt, oft verspottet und verleumdet, arbeiten, ist die Verhinderung des Untergangs. Friede ist keine Mode.“ Jetzt singen alle zusammen, Reinhart Sellner und Götz Fritsch, eingehängt und umarmt. Man singt so lange, bis der Hausmeister das Licht abdreht. „Entrüstet euch.“

Willi Resetarits sagt: „Für den Frieden ist ja ein jeder. Da muss man halt ganz genau sagen: Was für einen Frieden wollen wir, was für eine Frieden wollen die andern?“

In Innsbruck gehen die Teilnehmenden mit Pamphleten durch die Stadt, laden zum Abend ein, Felix Mitterer liest ein Kriegsgedicht von Anton Müller: „Voran, voran, Tiroler, ruft der Fähnrich. Keuchend, knirschend stürmen die Tiroler, um die Lippen weißen Staub.“ Kinderzeichnungen werden herumgetragen, Publikum und Interpretierende hüpfen im Takt. Das junge Publikum klatscht mit. Als der Zug nach Wien fährt, schlafen manche, auf den Sitzen ausgestreckt, das Gesicht mit einer Zeitung bedeckt.

Sie sind angekommen. Angekommen im Nachkriegsösterreich. Und weil sie so sanft war, die Landung, hätte sie Österreich fast überhört. Welch ein Glück, dass ich durch meinen Nachlass die Geschichte nachhören kann. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.11.2007)

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