Ist die Waffe die Mutter der Menschheit?

Anthropologie: Der aufrechte Gang konnte optimiert werden, als die Zeit der Faustkämpfe vorbei war.

Wie kommt es, dass wir so leichtfüßig über größte Distanzen dahintrotten können? Na ja, nicht wir alle, aber die Stadtmarathons sind überfüllt, und grundsätzlich ist unser Körper für ausdauerndes Laufen gebaut, das können nur wenige andere, Hunde, Pferde. Auch wir können es noch nicht so lange, unsere frühen Ahnen, die Australopitheci, sahen ganz anders aus, gedrungen, lange Arme, kurze Beine, sehr ähnlich wie unsere Verwandten, die großen Affen. Zurückgeführt hat man das darauf, dass Australopithecus zwar aufrecht gehen konnte, aber auch noch oft im Geäst kletterte.

Dort wären allerdings lange Hinterbeine auch von Nutzen, Kletterkünstler wie die Gibbons haben sie. Und am Boden sind lange Beine ohnehin besser, sie bringen Geschwindigkeit. Warum also behielt Australopithecus über seine ganze Zeit – er lebte vor vier bis zwei Millionen Jahren, das macht etwa 100.000 Generationen – kurze Beine? „Weil er auf Kampf spezialisiert war“, vermutet David Carrier, Biologe an der University of Utah. Ihm sind am Körperbau des Australopithecus noch zwei Besonderheiten aufgefallen, die auch die großen Affen kennzeichnen. Zum einen gibt es einen sehr großen Sexualdimorphismus – Männchen sind größer als Weibchen –, zum anderen haben Weibchen längere Beine als Männchen.

Schläge austeilen und einstecken

Ein großer Sexualdimorphismus hängt mit der sozialen Organisation zusammen, er zeigt sich überall dort, wo Männchen miteinander um Weibchen kämpfen, bisweilen bis zum Ende, man kennt es von Schimpansen, Gorillas und Orang-Utans, sie kämpfen oft in aufrechter Position, so wie es die Menschen dann auch taten. Gekämpft wurde mit Zähnen und Armen; und dafür, dass man mit den Armen stark zuschlagen bzw. starke Schläge ausbalancieren kann, braucht es einen guten Stand, also einen tiefen Schwerpunkt, also kurze Beine: „Vermutlich wurde wegen des hohen Levels der Aggression dauernd darauf selektiert“ (Evolution, March 2007, S.596).

Aber kurze Beine haben ihren Preis, man kommt kaum voran, kann schlechter jagen, fliehen, etwas transportieren. Deshalb hat die Evolution irgendwann in der Menschheitsgeschichte in der gegenläufigen Richtung selektiert und am Ende uns mit unseren langen Beinen hervorgebracht. Wann und warum? Sind wir friedfertiger? Mitnichten, nach dem Urteil (nicht nur) Carriers sind wir die „gewalttätigsten Wirbeltiere auf unserem Planeten“. Aber wir haben neue Gewaltmittel erfunden, Waffen, die den Kampf mit Fäusten oder Knüppeln – schon Schimpansen nehmen die zur Hand – ersetzten. Und den festen Stand/Schlag überflüssig machten: Den Speer wirft auch einer mit langen Beinen, beim Gewehr ist es nicht anders, man braucht nur noch weniger Kraft dafür, und für die Atomrakete reicht ein Druck auf einen Knopf.

Sind wir Geschöpfe unserer Waffen? Carrier vermutet es: „Durch die Waffentechnik trat physische Kraft zurück, zugunsten von Kreativität und technischer Innovation“ (in: Meldrum/Hilton: „From biped to strider“).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.03.2007)

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