Hühner verstecken Hormone im Ei

An der Veterinärmedizinischen Universität Wien wird erforscht, wie Stress- und Sexualhormone als Botschafter zwischen Huhn und Küken funktionieren.

Frühling ist! Wer kennt nicht den Einfluss der Hormone auf Verhalten, auf Körper und Geist? Dass eigene Hormone Wirkung zeigen, ist kein Geheimnis. Wie aber wirken die Hormone der Mutter auf ihre Nachkommen?

Sophie Rettenbacher vom Institut für Biochemie der Veterinärmedizinischen Universität Wien hat sich dieser Frage angenommen. An Säugern ließe sich die komplexe Beziehung zwischen mütterlichem Hormon-Level und der Auswirkung auf die Embryos schwer erfassen, da sich die gesamte Entwicklung im Mutterleib abspielt. Rettenbacher und ihr Team untersuchen daher an Hühnern – also an Vögeln, die ihrem Nachwuchs nur vor der Eiablage Hormone in den Dotter mitgeben können –, welche Eigenschaften und Verhaltensweisen der Küken mit dem Hormon-Level der Muttervögel bzw. dem Hormon-Level im Ei korrelieren. Denn wie man im Urlaub nur das mit hat, was man zuhause in den Koffer gesteckt hat, haben Küken genau die Dotter-Zusammensetzung für ihre Entwicklung zur Verfügung, die von der Mutter „eingepackt“ wurde.

Nicht die Gene allein

Dass nicht die Gene allein das Wesen eines Individuums bestimmen, ist bekannt. Während Gene die Bandbreite festlegen, wie sich ein Tier oder Mensch entwickeln könnte, sind Hormone ein wichtiger Teil der „epigenetischen Einflüsse“, also der Faktoren, die aus der möglichen Bandbreite die genaue Ausbildung eines Merkmals wählen. In dem Sinn ist es für die Mütter von Vorteil, ihre Kinder schon vor der Geburt mit dem richtigen Hormon-Cocktail auszustatten, um sie auf die jeweilige Umweltsituation angepasst schlüpfen zu lassen. Nicht nur bei Vögeln, von allen Wirbeltieren vom Fisch bis zum Menschen weiß man, dass mütterliche Hormon-Veränderungen auch Auswirkungen auf Physiologie und Verhalten der Jungen haben.

Blut abnehmen wäre zu stressig

Wie kamen die Forscher auf die Idee, im Hühnerei nach Hormonen zu suchen? „In früheren Studien haben wir einfach Stress-Forschung betrieben“, erzählt Rettenbacher. „Die Hennen wurden künstlich gestresst, und wir untersuchten ihren Kot gezielt auf Stresshormone. Das ist die schonendste Methode: Da muss man den Vögeln nicht Blut abnehmen, was sie umso mehr stressen würde, sondern kann nicht-invasiv arbeiten.“

Während der Zeit der Experimente legten die zehn Versuchshennen regelmäßig Eier. „Irgendwie war es uns zu schade, die Eier alle wegzuwerfen. Da kamen wir auf die Idee, statt im Kot einfach im Dotter der Eier nach Hormonen zu suchen“, so Rettenbacher. Tatsächlich: Im Dotter können Hormone nachgewiesen werden – aber nicht die Stresshormone, nach denen gesucht wurde. Die erhöhten Stresshormon-Levels der Mutterhühner waren im Dotter nicht chemisch nachweisbar. Erstaunlich – angesichts der Tatsache, dass die Küken gestresster Mütter stark verändertes Verhalten und auch körperliche Veränderungen zeigten. Im laufenden FWF-Projekt wollen die Forscher die Frage beantworten, wie der mütterliche Stress das Verhalten der Küken beeinflusst, ohne dass Stresshormone dem Ei mitgegeben werden.

Sexualhormone könnten die Lösung sein. Studien belegen, dass Umwelteinflüsse – wie Stress – den Testosteron-Gehalt im Vogelblut stark verändern. Die Einlagerung von Testosteron in den Dotter, dessen Entwicklung im Ovar der Henne drei bis zehn Tage dauert, ist gut untersucht.

Je mehr Testosteron, umso frecher

Die „fettliebenden“ Hormone wandern mit dem Blut, das während der Dotterbildung vor Fett und Proteinen strotzt, in den entstehenden Embryo. Dort angereichert, hat es Auswirkungen auf die spätere Entwicklung des Kükens. Je höher der Testosteron-Spiegel im Dotter, umso größer, stärker, aber auch frecher und weniger scheu waren die Küken.

Das heißt, Sexualhormone könnten das Medium sein, über das sich mütterlicher Stress auf Küken überträgt. Die Forschungen sind noch am Laufen. „Wir sind ja Biochemiker“, erklärt Rettenbacher. „Die Analyse der Eidotter läuft hier in der VetMed sehr gut. Aber zur Verhaltensbeobachtung und Auswertung der Entwicklung der Küken brauchen wir Verhaltensbiologen.“

Daher wird ein Teil der Eier nach Holland geschickt. Im Labor von Ton Groothuis in Groningen schlüpfen die Küken nach künstlicher Bebrütung. Alle werden bis zum Alter von vier Wochen intensiv beobachtet; und pro Henne wird je ein weibliches und ein männliches Junges bis zum Erwachsenenalter dort behalten. Daten über ihre Größe, Entwicklung, ihre Fähigkeit, zu lernen oder sich in der Gruppe durchzusetzen werden dann mit den in Wien gemessenen Hormonlevels der Eier verglichen. So will man zeigen, dass der mütterliche Stress tatsächlich statt über die Stresshormone über die Sexualhormone dem Ei mit auf den Weg gegeben wird und dass dies der Grund für die Verhaltensänderungen der Küken ist.

LEXIKON: Hennen und Eier

Pro Tag legen Hennen zirka ein Ei. Doch das heißt nicht, dass die Entwicklung des Hühnereis in einem Tag erfolgt. Sie beginnt im Eierstock der Henne, wo die Eizelle bis zu zehn Tage lang zu einer Dotterkugel heranwächst. Dann wandert sie in den Eileiter. Dort entsteht das Eiklar in zwei bis drei Stunden. Auch die Befruchtung des Eies kann dort erfolgen. Egal ob befruchtet oder nicht, wird innerhalb von 20 Stunden die Kalkschale gebildet. Noch ein schützendes Häutchen (Cuticula) darüber, und das Ei ist legefertig.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.05.2007)

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