Physiker-Jubiläum: Raumzeit und Materie, Stabilität und Glück

Uni Wien und Schrödinger-Institut feierten Walter Thirrings 80.Geburtstag mit einem Symposium.

„Walter Thirring hat stets auch Kontakt mit der physikalischen Wirklichkeit gesucht!“ Mit feinem Lächeln pries Dekan Anton Zeilinger, der selbst zum Stand der Experimentalphysiker zählt (freilich durchaus Interesse für die Theorie zeigt), den theoretischen Physiker Walter Thirring.

Auf dessen Bedeutung sich Physiker aller Stände einigen können. Und so fanden sie sich am Dienstag alle im Hörsaal der Experimentalphysik ein, darunter viele Emeritierte, denen, wie ein noch Aktiver meinte, ein besonders glücklicher Gesichtsausdruck eignet.

Das Geburtstags-Symposium begann Wolfgang Rindler, als Kind vor den Nazis aus Wien geflüchtet, nun in Dallas, mit einem Vortrag über die Wiener Tradition in der Relativitätstheorie. Mit Fokus auf Walter Thirrings Vater, Hans Thirring, ebenfalls ein großer Physiker, und dessen Ableitung des nach ihm benannten Lense-Thirring Effekts, der beschreibt, wie ein rotierender Körper die Raumzeit in seiner Nähe verändert – „mitschleppt“, sagen viele Physiker (auch Walter Thirring), doch Rindler plädierte gegen dieses Bild, das den Raum quasi als zähe Flüssigkeit sieht. Wie auch gegen das Machsche Prinzip, das selbst Albert Einstein so lange begeisterte. Ernst Mach (wie vor ihm z.B. Leibniz) meinte ja, dass es nur sinnvoll sei, von Bewegungen in Bezug auf andere Körper zu sprechen.

Gut, die Ablehnung eines absoluten Raumes à la Newton teilt die Relativitätstheorie, in ihr ist der Raum (bzw. die Raumzeit) aber mehr als eine Menge von Abständen zwischen Objekten. „Machs Prinzip ist verführerisch, aber zu radikal“, sagte Rindler: „Der Raum ist sehr wohl etwas (something).“

In einem Raum ohne Punkte

Wie er im Kleinsten ist bzw. sein könnte, damit befasst sich z.B. Julius Wess (München), ein Schüler W.Thirrings. Er entwirft nicht-kommutative Raumzeiten, solche also, in denen es, um ein primitives Beispiel zu nehmen, nicht egal ist, ob man erst geradeaus und dann links geht oder umgekehrt. „Man muss die Idee von Punkten aufgeben!“, sagte Wess und begab sich tief in die Algebra...

Im real existierenden Orbit kreiste der Satellit „Lageos“ mit der „Gravity Probe B“, die den Lense-Thirring-Effekt prüfte und vorerst mit einer Genauigkeit von zehn Prozent bestätigte. Die Endergebnisse kommen im Dezember, zu Thirrings Fest kam jetzt schon Barry Muhlfelder (Stanford), der den Wienern einiges über „Gravity Probe B“ berichten kann, z.B. dass die Gyroskope Kreisel) darin die perfektesten Kugeln sind, die Menschen je gemacht haben (mit einer Rauheit von höchstens 40 Atomlagen); dass mit einer Genauigkeit von Millibogensekunden gemessen wird (entspricht einer Haaresbreite aus 20 Kilometer Entfernung). Da ist er also wieder, der Kontakt mit der physikalischen Wirklichkeit, mit der Materie. Deren prinzipielle Stabilität Walter Thirring 1975 bewies, in einer epochalen Arbeit mit Elliott Lieb, der ebenfalls beim Symposium sprach.

Strenge Form und Intuition vertragen sich nicht nur in Thirrings Physik, sondern auch in seiner Musik, mit der das Fest im Heiligenstädter Beethovensaal ausklang. tk

VORTRAG:Gravity-B-Experte

Barry Muhlfelder (Stanford University) präsentiert das mit 700 Millionen Dollar teuerste Nasa-Grundlagenprojekt aller Zeiten im Physik-Institut der Uni Wien: „Gravity Probe B – First Results“, 16.Mai, 17.15 Uhr, Großer Hörsaal Experimentalphysik, Wien 9, Strudlhofgasse 4.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.05.2007)

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