Biologie: Willensfreiheit in Fruchtfliegen?

Das Flugverhalten der Fliegen ist auch ohne äußere Reize nicht rein zufällig – sondern „spontan“.

Ein Haustier der Philosophen, „Buridans Esel“, muss verhungern: Er steht exakt zwischen zwei gleichen Heuhaufen und kann sich nicht entscheiden. Dabei genießt er doch Willensfreiheit, sagen Schopenhauer und Konsorten: Nur wenn keinerlei Gründe oder Motive einen lenken, ist man frei. In allen anderen Fällen kann man nicht wollen, was man will.

Wie kann sich der Esel doch entscheiden? Gibt es Mechanismen in seinem Hirn, die ihn zu einem der beiden Heuhaufen dirigieren? Anders gefragt: Ist sein Verhalten wirklich rein zufällig – und nicht eher „spontan“?

Neurobiologen um Björn Brembs (Berlin) und George Sugihara (San Diego) untersuchten das an Haustieren der Genetiker: Fruchtfliegen. Solche wurden aller Entscheidungshilfen, aller Motive beraubt: in einem weißen, gleichmäßig ausgeleuchteten Raum, ohne Gerüche, mit einem Haken an einem Apparat befestigt, der alle Bewegungen registriert (PLos One, 5/2007, e443).

Zwischen Zufall und Notwendigkeit

So seien die Fliegen frei von jedem Input, meinen die Forscher, und so sollte ihr Verhalten einem zufälligen („weißen“) Rauschen ähneln, strukturlos und ziellos. Die Analyse ergab anderes: Die Bewegungsmuster sind durch kein stochastisches Computermodell zu erklären, sie gleichen vielmehr einem Lévy-Flug. Den kennt man von der Nahrungssuche von Säugetieren und Vögeln, er hat fraktale Züge, sprich: Die Muster im kleinen und großen Maßstab gleichen einander, wohl weil es sinnvoll ist, sowohl von Zeit zu Zeit von einem Terrain in ein anderes zu wechseln als auch jeweils ein Terrain genauer zu durchsuchen.

Ähnlich ist der Zufallsgenerator im Fliegenhirn offenbar nicht perfekt, und das mit gutem Grund. „Es muss eine in der Evolution entstandene Funktion im Fliegenhirn geben, die zu spontanen Variationen im Verhalten führt“, meint Sugihara und spekuliert: Ein solcher Mechanismus könnte „die biologische Grundlage von dem sein, was wir als ,freien Willen‘ erleben“, Verhalten in der Grauzone zwischen reinem Zufall und strenger Notwendigkeit, ein Balanceakt zwischen Chaos und Determinismus.

Selbst das Fliegenhirn sei keine reine „Input-Output-Maschine“, sagt Brembs, es erzeuge sich selbst die Art von Variabilität, die es braucht. „Wenn sogar Fliegen die Fähigkeit zur Spontanität zeigen, können wir wirklich glauben, dass sie bei Menschen fehlt?“ Brembs will hier sogar genau den Unterschied zwischen Mensch und Tier sehen: Menschen seien weniger determiniert.

Im strengen Sinn ist die „Spontanität“ der Fliege natürlich auch – letztlich genetisch – programmiert, also nicht frei. Und immer bewährt sie sich ganz offensichtlich nicht: Sonst würden Fliegen nicht so erbärmlich kopflos an die Fenster knallen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.05.2007)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.