Spieltheorie: Freiwilligkeit und Strafsystem

Kooperation entsteht am besten, wenn man nicht mitmachen muss.

Strafen hält eine Gemeinschaft zusammen; es kann altruistisch sein, wenn es die Strafenden etwas kostet. Das klingt nach finster-autoritärem Weltbild, ist aber wesentlich für die Klärung einer alten Frage: Wie entsteht Kooperation? Zumindest die mathematischen Biologen, die sich des mächtigen Werkzeugkastens der Spieltheorie bedienen, entdecken immer mehr die Bedeutung des „altruistic punishment“ – und ergründen: Wie kann es sich etablieren?

Ein Team um Martin Nowak (Harvard) und Hannelore Brandt (Wien) hat eine verblüffende Antwort: Wenn es in einer Gesellschaft den Individuen offensteht, ob sie bei den gemeinschaftlichen Unternehmungen mitmachen oder nicht, dann setzt sich altruistische Bestrafung durch. Andernfalls, in einem Zwangssystem sozusagen, setzt sich meist die Strategie der „Defektoren“ durch, jener, die zwar die Vorteile der Gemeinschaft nutzen, aber die Kosten verweigern.

Pilzesammeln statt Jagd

Den Rechnungen liegt ein Modell mit vier Strategien zugrunde: 1)Nicht-Teilnehmer, 2)Defektoren, 3)Kooperatoren (die mitmachen und einzahlen), 4)Be- strafer (die mitmachen, einzahlen und Defektoren bestrafen). Die Spieler können nach jeder Runde von den Erfolgen ihrer Mitspieler lernen und die Strategie wechseln. Wenn es nur Kooperatoren und Defektoren gibt, setzt sich die Strategie der Defektoren durch; wenn Bestrafer dazukommen, ändert sich das kaum. Erst die Möglichkeit, nicht mitzumachen, stabilisiert das System des altruistischen Bestrafens – und etabliert die Kooperation.

Aber was bedeutet „nicht mitmachen“ in der Praxis? „Nicht unbedingt ein Einsiedlerleben“, schreiben die Spieltheoretiker in Science (316, S.1907), sondern „Pilzesammeln, statt an der Jagd teilzunehmen, sich in den Wäldern zu zerstreuen, statt eine Festung gegen Angreifer zu errichten, Erdäpfel auf seinem Stück Land anzubauen, statt dieses einer Allmende anzuschließen, die wahrscheinlich durch Übergrasen ruiniert wird“.

Das nennt man „tragedy of the commons“: Gemeinschaftlicher, „öffentlicher“ Besitz wie eben Allmenden wird gern über Gebühr ausgebeutet. Diese Tragödie könnte, glaubt man der Spieltheorie, durch einen Kombination aus Zwang und Freiwilligkeit aufgelöst werden: Man muss nicht mitmachen, wenn man aber mitmacht, dann muss man auch einzahlen, sonst wird man bestraft. tk

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.06.2007)

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