Nebra-Scheibe, Schamanen-Schild?

(c) Landesarchiv Sachsen
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Der Fund aus der Bronzezeit war kein astronomisches Instrument, sondern eine symbolische Darstellung des Kosmos mit praktischem Nutzen.

Aus fünf Schichten gedrängt war der Schild; drauf bildet er die Erd' und das wogende Meer und den Himmel, auch den vollen Mond und die rastlos laufende Sonne, drauf auch alle Gestirne, drauf Pleiad und Hyad.“ Was ist das? Hephaistos beim Verfertigen des Schildes für Achill (Ilias, 18, 478 ff). Und was soll das? „Es scheint, dass der Schild des Achill und die Scheibe von Nebra einige Charakteristika gemeinsam haben“, erklären Emilia Pástor (Matrica Museum, Ungarn) und Curt Roslund (Astronomie, Götheburg) in der jüngsten Interpretation des seltsamen Gebildes, das 1999 auf dem 252 Meter hohen Mittelberg bei Nebra in Sachsen-Anhalt gefunden wurde: eine Scheibe aus Bronze mit Goldeinlagen – Sonne, Mond und Sterne –, 32 Zentimeter Durchmesser, zwei Kilo Gewicht.

Gefunden wurde sie von Grabräubern, die sie erst für einen Eimerdeckel hielten, dann aber doch auf den Archäo-Schwarzmarkt brachten, zusammen mit ebenfalls gefundenen Schwertern. Der Fund wechselte mehrfach den Besitzer, 2002 gelang es Harald Meller (Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Halle) und der Polizei in Basel, ihn ans Licht der Legalität und der Öffentlichkeit zu bringen, seitdem ist er in der Obhut Mellers.

Aber was ist es? Fest steht nur eines: Die Bronze ist älter als hundert Jahre. Metall kann man nicht datieren, man kann nur den Geigerzähler daran halten: Kupfer – ein Bestandteil von Bronze – ist nach der Verhüttung schwach radioaktiv, von einem Blei-Isotop, 210Pb, nach hundert Jahren ist nichts mehr da. Die Scheibe strahlt nicht, ihr Material ist älter. Wie alt? 3600 Jahre, das ist Konsens unter der Forschermehrheit, die Stimmen der Skeptiker, die an eine Fälschung glauben, sind ausgedünnt, nur Peter Schauer (Uni Regensburg) bleibt lautstark, diese Woche gegenüber BBC: „Wenn man auf Bronze uriniert und sie ein paar Wochen in der Erde vergräbt, kann man die gleiche Patina wie die auf der Scheibe produzieren.“„Wir haben über ein Dutzend Typen von Zeichen für eine Fälschung untersucht und nichts gefunden“, erwidert Ernst Pernicka (Uni Tübingen): „Die Scheibe ist nicht mehr umstritten“, ihr Alter auch nicht – man datiert es über die mitgefundenen Schwerter, von denen man ähnliche, datierte kennt.

Es geht nur noch um die Bedeutung: Ist die Darstellung des gestirnten Himmels so präzise, dass man die Scheibe als astronomisches Instrument ansehen kann? Oder ist es eine Allegorie mit alltagspraktischer Bedeutung, bei der Schönheit über Präzision ging? Pástor/Roslund vermuten es, deshalb erinnern sie an die Ähnlichkeit mit dem Schild des Achill – und mit den Trommeln vieler Schamanen: „Vermutlich war die Scheibe ein zeremonieller Schild eines Schamanen, auf dem symbolisch der Kosmos dargestellt war“ (Antiquity, 81, S.267).

Memogramm für Herren über die Zeit

„Es war kein astronomisches Instrument“, stimmt Kosticka zu: „Es war ein Memogramm“ – eine Erinnerungshilfe – für einen Priester oder Königspriester, der der Herr über die Zeit war“ und diese Macht aus der Kenntnis der Scheibe zog. Die zeigt etwa das Sternbild der Plejaden, die in der Bronzezeit Mitte Oktober über dem Horizont erschienen und Mitte März wieder verschwanden, dann, wenn es Zeit zur Saat bzw. Ernte war, nicht nur in Norddeutschland: „Wenn das Gestirn der Plejaden, der Atlastöchter, emporsteigt, dann beginne die Ernte. Doch pflüge, wenn sie hinabgehen“, riet Hesiod, geboren ca. 700 vor Christus.

Entweder hatten die Bewohner vieler Regionen diese Zeitgeber unabhängig voneinander bemerkt oder es gab weiten kulturellen Austausch. Auf Letzteres deutet eine zweite Besonderheit der Scheibe, sie ist auch ein Kalender für das Mondjahr und das Sonnenjahr: „Im Mondkalender verschieben sich die Feiertage, er muss immer wieder mit dem Sonnenkalender harmonisiert werden“, erklärt Pernicka: „Das geht, wenn man weiß, dass man einen Schaltmonat einschieben muss, wenn die Mondsichel so dick ist wie auf der Scheibe. Das ist alle drei Jahre, es ist ein einfaches Prinzip, das in Mesopotamien entwickelt wurde.“

SCHEIBE: Material

Datieren kann man Metall nicht, aber seine Herkunft bestimmen kann man: Das Kupfer kam aus den Ostalpen (möglicherweise Bischofshofen), das Gold aus den Karpaten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.06.2007)

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