Psychologie: Die Macht des Blicks der anderen

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Altruistisch handeln wir vor allem dann, wenn wir uns beobachtet fühlen und - bei allem Uneigennutz - etwas zu gewinnen haben: Reputation.

Wenn wir beobachtet werden, und wenn wir es wissen, dann werden wir ganz andere Menschen, schön, wahr und gut, Letzteres vor allem, man sieht es im Extrem an der Prominenz, die sich vor die Kameras drängt. Augen haben Macht, seien es wirkliche, seien es stilisierte: In der Kaffeeküche der Psychologen der University of Newcastle steht eine Schachtel, in die Geld für den jeweiligen Konsum gelegt werden soll, nicht immer wird ehrlich bezahlt.Aber Melissa Batseon, eine der Psychologinnen, fand eine Strategie gegen das Dauerdefizit: Sie klebte jede Woche ein anderes Bild auf die Schachtel, Blumen, Tiere, Augen. Dass das ein Experiment war, bemerkten die anderen nicht, aber sie griffen in die Taschen: "Wenn Augen auf der Schachtel waren, bezahlten die Leute drei Mal so viel wie bei anderen Bildern" (Biology Letters, 2, S. 412).

Und wenn man, in einem anderen Experiment, mit bildgebenden Verfahren in die Gehirne hineinschaut, dann zeigt sich, dass sie stärker auf isolierte Augen reagieren als auf ganze Gesichter, es ist nicht nur bei uns so, auch die Aufmerksamkeit von Vögeln ist dann am stärksten, wenn sie von einem Augenpaar angestarrt werden. Dann ändert sich das Verhalten: Putzerfische putzen ihre Klienten sorgsam und vorsichtig, solange sie im Blickfeld anderer potenzieller Klienten sind. Aber wenn keiner zuschaut, putzen sie nicht, sondern beißen aus der Haut des Klienten Stücke heraus (Proceedings B, 268, S. 1495). Und wenn im Psychologenlabor das "Diktatorspiel" gespielt wird - ein Spieler erhält Geld, von dem er nach Belieben etwas abgeben kann oder auch nicht -, dann erweicht der härteste Geizhals, wenn ihm der Mitspieler direkt ins Auge schaut, und gibt ihm bis zur Hälfte ab.

Maskierte Gesichter, maskierte Augen

Als Beobachteter will man nicht immer unter solcher Kontrolle bzw. Manipulation stehen - Bankräuber tragen Masken, Ballbesucher oft auch -, aber als Beobachter will man immer eine korrekte Information über den anderen, eine, die er uns nicht vorspielt, weil er sich beobachtet weiß. Deshalb streifen sich auch manche Beobachter "Masken" über: Viele soziale Vögel haben Muster in den Augen, die verhindern, dass man sieht, wohin sie gerade sehen. Und unter Menschen kommt es zu regelrechten Rüstungswettläufen: Wer einen anderen beobachten will, tut gut daran, so zu tun, als beobachte er ihn überhaupt nicht. Und wer sich beobachtet fühlt, spielt am besten den Unbeobachteten. Wer auch dann noch schön, wahr und gut ist, der gewinnt an Ruf und Ansehen: Reputation.

Und um die geht es, sie hängt aufs Engste mit dem Altruismus zusammen, den es nach den Theorien der Ökonomie und der Evolutionsbiologie gar nicht geben dürfte, weil beim Geld und der Fortpflanzung alle nur auf den eigenen Vorteil schauen. Trotzdem gibt es ihn - Menschen spenden ganz selbstlos Geld oder auch Blut -, er ist meist unerklärlich, aber in einem Fall hat er einen bekannten Grund, den Blick des anderen.
Der regt zu Uneigennutz an, der hält Gemeinschaften zusammen: Evolutionsbiologe Manfred Milinski (Plön) und Ökonomin Bettina Rockenbach (Erfurt) vermuten, dass darin der Hintersinn der Totempfähle nordamerikanischer Indianer mit ihren vielen Augen liegt (Science, 317, S. 464). Auch der Gott der Christen ist oft als stilisiertes Auge dargestellt, Orwell zeigte die härtere Seite des kontrollierenden Blicks.

Aber belassen wir es heute bei der freundlichen: Wenn derzeit allerorten für den Weltfrieden musiziert wird oder gegen den Klimawandel, dann mag das viele Motive haben, aber die Kameras machen es gut. Auch gespielter Altruismus ist Altruismus.
Und vielleicht wird er echt, das hoffen Milinski/Rockenbach, die selbst schon Psychoexperimente unternommen haben, bei denen Reputation als Triebkraft mobilisiert wird: "Beobachter sollten sozialen Partnern nach besten Kräften das Gefühl des Beobachtetwerdens vermitteln, damit das altruistische Verhalten das ,normale' wird."

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