Psychologie: Warum Strafe sein muss

Der Colt des Gesetzes - hier geladen von Ronald Reagan in ''Law and Order''  ist unverzichtbar.
Der Colt des Gesetzes - hier geladen von Ronald Reagan in ''Law and Order'' ist unverzichtbar.(c) AP
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Normen sind von einem Charaktertyp gefährdet, der Zügelung braucht.

Dieser Typus hätte unter Hitler Karriere gemacht, er hätte unter Stalin Karriere gemacht und unter Saddam Hussein auch.“ So charakterisiert Ernst Fehr, Vorarlberger Wirtschaftsforscher an der Uni Zürich, einen Menschenschlag, den die Psychologie „machiavellistischen Charakter“ nennt. Das ist eine Mischung aus Eigennutz und Opportunismus, sie erinnert stark an Heinrich Manns „Untertan“, ist aber nicht an die Zeit Manns gebunden, sondern immer da, und das mit Grund: Dieser Typus ist der, der in der menschlichen Gesellschaft – in jeder – am besten fährt, er lukriert den maximalen Gewinn. Zugleich ist er der, der jede Gesellschaft am stärksten bedroht und nur durch Strafandrohungen gezügelt werden kann.

Fehr geht lange schon der Frage nach, wie Menschen ökonomisch und sozial handeln, diesmal ging es ihm darum, ob Normen durch Strafe befestigt werden müssen: „Die meisten halten sich auch ohne Strafandrohung an Normen, aber es gibt Menschen, die der Versuchung unterliegen, Eigeninteressen voranzustellen. Das kann sich leicht wie ein Lauffeuer ausbreiten.“ Etwa dann, wenn das Gesetz durch einen Hurrikan oder einen Krieg außer Kraft gesetzt wird, in New Orleans wurde in großem Stil geplündert, im Irak ist es nicht anders. Das liegt daran, dass die Bereitschaft, Normen zu befolgen, nicht unbedingt ist, sondern bedingt. Man orientiert sich an anderen: Glaubt man, dass viele lügen oder die Steuer hinterziehen oder die Kinder prügeln, tut man es auch.

Es sei denn, man wird bestraft bzw. weiß, dass man es riskiert. Dann tut sich etwas im Gehirn, Fehr hat es gemessen. Er hat Testpersonen zum „Ultimatum-Spiel“ ins Labor gebeten: Spieler A erhält Geld, echtes, hundert Franken, er muss davon Spieler B abgeben, so viel er will – es kann auch gar nichts sein –, B kann das akzeptieren oder ablehnen. Dieses Spiel soll zeigen, ob es Fairness gibt oder nicht, man hat es schon Mitglieder verschiedenster Gesellschaften spielen lassen, für gewöhnlich überwiegt die Fairness.

Aber es kommt auf die Charaktere an: In einer Variante des Spiels hat A überhaupt nichts zu fürchten („Diktator-Spiel“), in einer anderen viel. In ihr kann B zurückschlagen, wenn er das Angebot als unfair empfindet. Auch er hat Spielgeld, 25 Franken. Davon kann er abgeben – an den Spielleiter – und A schaden: Für jeden Franken, auf den B verzichtet, werden A fünf Franken weggenommen. (B verliert auch, er kämpft selbstlos und auf eigene Kosten für die Fairness, es ist die Sondersituation des „altruistischen Strafens“.)

In beiden Situationen zeigt sich der „machiavellistische Charakter“: Ist er „Diktator“, gibt er weniger ab als andere Charaktere; in der strafbedrohten Situation hingegen ist er freigiebiger. Und in Summe hat er am Ende der Spiele am meisten Geld. Dabei geht es ihm gar nicht um das Geld, sondern um das Soziale: In noch einer Variante spielte A gegen einen Computer, der so programmiert war, wie B entschied. Aber von der Maschine ließ sich A nicht beeindrucken, er verlor lieber Geld (Neuron, 56, S.185).

Konsequenzen für das Strafrecht

Dabei spielen zwei Gehirnregionen zusammen, Fehr hat es mit bildgebenden Verfahren gezeigt: Im „rechten dorsalen präfrontalen Kortex“ sitzt der Egoismus bzw. seine Kontrolle, im „lateralen orbifrontalen Kortex“ ein Gefühl für „badness“: Wie negativ wird Strafe empfunden? Ausgerechnet diese beiden Regionen entwickeln sich spät, mit 21, 22 Jahren. Deshalb fordert Fehr ein altersabgestuftes Strafrecht, in Europa gibt es das, in den USA kaum, „der Befund ist eine Provokation für die US-Gesellschaft“.

CHARAKTER: Machiavellist

„Wo gehobelt wird, fallen Späne.“ Wer dem im Charaktertest zustimmt – und auch dem: „Am besten sagt man den Menschen, was sie hören wollen“ –, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit „machiavellistisch“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.10.2007)

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