Wortgeschichte: Wie Unregelmäßigkeiten verschwinden

Mathematiker um den Österreicher Martin Nowak zeigten: „Irregular Verbs“ halten sich umso länger, je öfter sie verwendet werden.

Wer „ich frug“ oder „ich buk“ sagt statt „ich fragte“ oder „ich backte“, altertümelt bewusst. Er weiß: Bei diesen Verben ist die starke Konjugation fast vollständig der schwachen gewichen. Das ist weder typisch für das Deutsche noch für die ach so verderbte respektive verdorbene Gegenwart: In allen Sprachen herrschte und herrscht eine Tendenz zur Regularisierung. Schon im Lateinischen wurden „schwierige“ Formen tendenziell durch die pflegeleichtere A-Konjugation ersetzt.

Auch im Englischen steigt der Anteil der „regular verbs“, deren Past Tense und Past Participle mit dem dentalen Suffix „ed“ gebildet werden, schon weil jedes neu gebildete Wort (e.g. „to google“) selbstverständlich bequem regelmäßig konjugiert wird.

Es gibt heute an die 180 „irregular verbs“, darunter sind allerdings die zehn häufigsten: be, have, do, go, say, can, will, see, take, get. Das zeigt schon die Tendenz: Unregelmäßige Formen halten sich besser, wenn sie häufiger verwendet werden.Es ist peinlicher, „I thinked“ zu sagen als „it stinged“.

Diese qualitative Einschätzung wird nun durch eine quantitative Analyse bestätigt: Ein Team um den österreichischen Mathematiker und Biologen Martin Nowak (Harvard University) untersuchte 177 Verben, die im Altenglischen (das die Anglisten bis zur Battle of Hastings, 1066, datieren) stark, also unregelmäßig, konjugiert wurden und die heute noch im Sprachschatz sind. Von ihnen waren im Mittelenglischen (ca. bis zur Mitte des 15.Jahrhunderts) noch 145 unregelmäßig, und 98 sind es bis heute.

Der Datenbank „Celex“ – die verschiedenste Texte mit insgesamt 17,9 Millionen Wörtern enthält – entnahmen die Forscher, wie häufig die 177 Verben heute sind, welchen Anteil der Verben insgesamt sie stellen. Dass die Häufigkeit sich nicht signifikant geändert hat, überprüften sie stichprobenweise mit Hilfe von Sammlungen alter Literatur; die Hilfszeitwörter „can“, „will“ und „shall“ wurden ausgeschieden. Dann teilten sie die Verben logarithmisch in „Kästchen“: Verben, die mit einer Häufigkeit zwischen eins und einem Zehntel vorkommen, Verben mit einer Häufigkeit zwischen einem Zehntel und einem Hundertstel usw. (siehe Grafik).

Im ersten Kästchen (Häufigkeit über 1/10) liegen nur „be“ und „have“. Auch die elf Verben im zweiten Kästchen sind allesamt bis heute unregelmäßig geblieben. Von den 37 Verben zwischen 1/1000 und 1/100 sind 33 heute noch unregelmäßig. Der Anteil der regularisierten Verben steigt weiter: Im vierten Kästchen sind es 28 von 65, im fünften 36 von 50. Von den 12 Verben im sechsten Kästchen – mit Häufigkeiten zwischen einem Millionstel und einem Hunderttausendstel – ist nur ein einziges unregelmäßig geblieben: „slink“, ein Wort, das, so Nowak, „passenderweise den stillen Prozess des Verschwindens beschreibt“.

Aus diesem Vergleich kann man ungefähr eine „Halbwertszeit“ unregelmäßiger Verben ableiten. Sie ist proportional zu seiner Häufigkeit: Ein Verb, das hundertmal so häufig ist wie ein anderes, bleibt zehnmal so lange unregelmäßig (Nature, 449, S.713).

Als Nächstes weicht „wed“

Der umgekehrte Vorgang – dass ein Verb im Altenglischen regelmäßig war und heute unregelmäßig ist – ist viel seltener. Ein Beispiel ist „make“, wo durch Abschleifen aus „maked“ allmählich „made“ wurde.

Welches Verb wird als nächstes regularisiert? Nowak tippt auf „wed“, heiraten, dessen Past Tense (die übrigens auch schon im Altenglischen regelmäßig war) manchmal schon „wedded“ lautet. „Now is your last chance to be a ,newly wed‘.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.10.2007)

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