Christentum führt zu nackter (weiblicher) Haut

von Braun
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Kulturwissenschaft. Christina von Braun erklärt den Schleier und die Säkularisierung aus „religiösen Grundstrukturen“.

„Die Säkularisierung ist nur scheinbar religiös neutral, in Wahrheit heißt säkular werden christlich werden.“ Christina von Braun, die solches behauptet, erregte schon im Frühjahr mit dem Buch „Verschleierte Wirklichkeit“ (gemeinsam mit Bettina Matthes) Aufmerksamkeit. Darin führt sie die Ängste des Westens vor dem islamischen Schleier auf Verdrängungen der eigenen Geschichte zurück. Heute, Mittwoch, ist die an der Berliner Humboldt-Universität lehrende deutsche Kulturtheoretikerin im Rahmen der „Wiener Vorlesungen“ zu erleben.

„Die Säkularisierung ging nicht zufällig aus der christlichen Gesellschaft hervor“, erklärt sie im Gespräch mit der „Presse“. „Im Christentum ist die Grenze zwischen Gott und Welt durch den Mensch gewordenen Gott aufgehoben. Im Judentum und Islam darf diese Grenze nicht überschritten werden. Gott kommt nie in Berührung mit dem Körper des Gläubigen, daher darf auch sein Name nicht über die Lippen kommen.“

Die strikte Trennung zwischen weiblicher und männlicher Welt in islamischen Ländern führt von Braun direkt auf diese „religiöse Grundstruktur“ zurück. „Meine Grundthese ist, dass sich in der Geschlechterordnung das Verhältnis von Gott und Mensch der jeweiligen Religion widerspiegelt. Judentum und Islam trennen strikt zwischen männlicher und weiblicher Welt, das äußert sich im Judentum durch Beschneidung des männlichen und Gesetze für den weiblichen Körper, im Islam durch den Vorhang, den Schleier. Das Christentum will das Gegenteil, die Symbiose, Verschmelzung. Judentum und Islam sakralisieren den weiblichen Körper, das Christentum die Ehe.“

Aber auch die westliche Angst vor dem Schleier wurzelt tief, in der christlichen Geschichte, ist von Braun überzeugt. „Im Judentum und Islam bleibt das Antlitz Gottes verhüllt. Das Christentum, in dem Gott sichtbar wird, versteht sich als Religion der Entschleierung.“ Diese Dominanz des Sehens bestimme die westliche Gesellschaft. „Erkenntnis heißt hier sehen können.“

Westen „verträgt nicht, was sich entzieht“

Dabei habe man meist das Betrachten als männlich, das Objekt des Betrachtens und (Erkenntnis-)Begehrens als weiblich aufgefasst, sagt von Braun. „Warum wurde der weibliche Körper im Westen so entschleiert? Das wird immer als Freiheit und Emanzipation verkauft. Es hängt aber eher damit zusammen, dass man nicht erträgt, dass sich etwas entzieht – mit einer Wissenschaftslogik, die fordert, dass die Dinge sichtbar sein müssen. Und das hatte immer auch einen geschlechtlichen Aspekt.“ Genau deshalb, glaubt Braun, ist die verschleierte Muslimin für den Westen eine Provokation.

Christina von Braun spricht heute, Mittwoch, um 19Uhr über Sprache, Wissen, Geschlecht in den drei Buchreligionen. Altes Rathaus, Festsaal, 1., Wipplingerstraße 6–8.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.11.2007)

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