Wie die Nervenzellen lernen

hirnforschung. Forscher an der Med-Uni Wien klären Vorgänge an den Synapsen.

W
enn wir etwas lernen, ändern sich die Verbindungen zwischen Nervenzellen, die Synapsen. An diesen treffen jeweils das "Ausgangskabel" (Axon) einer Nervenzelle und das "Eingangskabel" (Dendrit) der nächsten zusammen. Am Beispiel des berühmten Pawlowschen Hundes: In dessen Hippocampus (Hirn-Areal, das fürs Langzeitgedächtnis wichtig ist) sitzt eine Nervenzelle mit zwei Eingangs-Synapsen: An einer endet das Axon einer Riech-Zelle ("Geruch nach Futter"), an der anderen das Axon einer Hör-Zelle ("gleichzeitiges Läuten einer Glocke"). Wird die Nervenzelle aktiviert, dann schickt sie über ihr Ausgangs-Axon die Botschaft "Speichelfluss!" weiter. Am Anfang des Pawlow-Experiments bewirkt das Riechen von Futter, dass Speichel sekretiert wird. Nach der Konditionierung - der Glockenton wird mit der Futtergabe assoziiert - reicht die Glocke. Die Synapsen haben ihre Empfindlichkeit verändert: Die Zelle hat gelernt.

Man spricht von "synaptischer Plastizität" - die Synapse verändert ihre Form wie auch ihre Funktion. Welche molekularen Prozesse diese aber ausmachen, darüber weiß man noch recht wenig. Michael Klieber vom Zentrum für Hirnforschung der Medizinischen Universität Wien ist nun gleich an zwei Publikationen beteiligt, die zur Aufklärung beitragen. Zur einen Arbeit (Nature, 439, S. 283) stieß er erst nachträglich: Alle vier Gutachter, die den Artikel (von Forschern an der Harvard Medical School) geprüft hatten, forderten ein Schlüsselexperiment ein. Kiebler und Fabian Tübing konnten es durchführen - und zeigen, dass eine Mikro-RNA und die zugehörige Messenger-RNA an einer Synapse in direktem Kontakt miteinander vorliegen.

Was sind Mikro- und Messenger-RNA? Zwei unterschiedliche Formen einer faszinierenden Molekül-Art, der Ribonukleinsäure, einer lange unterschätzten Schwester der DNA. Als Messenger-RNA (mRNA) kennt man sie schon länger: Da wirkt sie als Botin, transportiert eine Botschaft der DNA - oft, aber durchaus nicht immer eines Gens - aus dem Zellkern ins Zytoplasma. Dort wird die Botschaft oft, aber durchaus nicht immer in ein Protein übersetzt.

Mikro-RNAs kennt man erst seit jüngster Zeit: Sie bestehen nur aus jeweils 21 Basen, und sie werden nicht in Proteine übersetzt. Sie hemmen vielmehr eine mRNA, indem sie gleich deren Abbau veranlassen oder verhindern, dass die mRNA in ein Protein übersetzt wird. So wirken sie regulierend.

Zum Beispiel eben an einer Synapse. Solange dort eine Mikro-RNA auf einer bestimmten mRNA sitzt, wird diese nicht in ein Protein übersetzt. Erst wenn die Mikro-RNA abfällt, dann entsteht das Protein - und die Synapse ändert ihre Form und auch die Signalweiterleitung. Reduktionistisch gesagt: Die Nervenzelle hat etwas gelernt. Wichtig dabei ist, dass beim Lernen nur jeweils einzelne, aber nicht alle zu diesem Zeitpunkt aktiven Synapsen zugleich ihre Form ändern. Dazu braucht man einen Schalter: die Mikro-RNA.

Im Journal of Cell Biology (172, S. 221) - mit Kollegen aus Wien, Tübingen und Biberach - beschreibt Kiebler einen zweiten Faktor, der nötig ist, damit eine Synapse funktioniert: Staufen 2. Das ist ein Protein, das für den Transport von mRNA entlang des Zellskeletts zur Synapse verantwortlich ist. Man kennt ein Protein dieser Art von der Taufliege, wo es in der Embryonalentwicklung für die Ausbildung der Kopf-Schwanz-Achse sorgt. Es bringt RNAs dorthin, wo sie gebraucht werden, etwa "Prospero", die für Entstehung von Nervenzellen wichtig ist.

Neuronen, denen es an Staufen 2 fehlt, haben weniger Synapsen, und die Signalübertragung zwischen ihnen ist gestört. "Ein wichtiger Hinweis darauf, dass Staufen 2 für die Ausbildung funktionierender Sy- napsen unverzichtbar ist", so Kiebler. Und ein Beitrag zur Biochemie des Lernens.

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