Chemie-Nobelpreis: Ein Aufklärer der Oberflächen

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Die Auszeichnung geht heuer ungeteilt an den Deutschen Gerhard Ertl – für die Erforschung der chemischen Reaktionen an Oberflächen.

Wer giftiges Kohlenmonoxid (CO) in Autoabgasen in ungiftiges Kohlendioxid (CO2) verwandeln will, braucht einen Katalysator. Im umgangssprachlichen Sinn („Kat“), aber auch im ursprünglichen, chemischen Sinn: einen Stoff, der eine Reaktion beschleunigt. In diesem Fall sind das Edelmetalle (z.B. Platin oder Rhodium), an deren Oberfläche die Reaktion stattfindet. Wie die Katalysatoroberfläche aussieht, ob sie regelmäßig oder zerklüftet, ob sie frei, belegt oder gar „vergiftet“ ist, ist wesentlich für die Reaktion und damit für die Effizienz des Katalysators.

Das ist nur ein Beispiel für die Bedeutung von Oberflächen in der Chemie. Ohne Übertreibung kann man sagen: Jede Reaktion, an der ein Festkörper beteiligt ist, ist eine Oberflächenreaktion.

Andere Zustände als im Inneren

Erstens ganz einfach, weil die Oberfläche leichter zugänglich ist als das Innere des Festkörpers („Bulk“), in das die Reaktionspartner erst hineindiffundieren müssten. Zweitens, weil an der Oberfläche die elektronische Struktur anders ist als im Bulk, weil womöglich Atome eher „frei“ sind, bereit, neue Bindungen einzugehen. Man denke nur an das an sich unedle, sehr für Oxidation anfällige Aluminium: Seine Oberfläche ist für gewöhnlich durch eine Oxidschicht geschützt; wenn man aber durch ein Aluminiumstück schneidet und so eine neue Oberfläche schafft, rostet das Aluminium an dieser sehr schnell.

Genau weil Oberflächen chemisch so aktiv sind, sind sie notorisch leicht zu verschmutzen – und schwer zu beschreiben: Kaum hat man nicht aufgepasst, hat sich schon ein unerwünschtes Molekül aus der Luft daraufgesetzt (wurde „adsorbiert“), hat sich eine Stufe oder Welle gebildet, hat die Oberfläche ihre Gestalt verändert („rekonstruiert“).

Man braucht also 1)ein Vakuum, in dem die Oberfläche vor unkontrollierten Angriffen geschützt ist, 2)spezielle Untersuchungsmethoden, z.B. „LEED“, wo langsame Elektronen an der Oberfläche gestreut werden, oder Rastertunnelmikroskopie, bei der der Stromfluss zwischen der Oberfläche und einer feinen Spitze gemessen und so die Oberfläche abgebildet wird.

Adsorption von H2 auf Platin

Ein Pionier der Erforschung chemischer Reaktionen an Oberflächen erhält heuer allein den Chemienobelpreis: der Deutsche Gerhard Ertl, der eigentlich studierter Physiker ist, aber an der Oberfläche verschwimmen auch diese Grenzen.

Schon Ertls Dissertation (1965, TU München) galt einer Oberflächenreaktion (der katalytischen Oxidation von Wasserstoff an Germanium-Einkristallen). Er hat wesentliche Reaktionen exemplarisch untersucht, etwa die Adsorption von Wasserstoff auf Platin (wichtig z.B. in elektrochemischen Solarzellen), aber eben auch die Oxidation von CO auf Platin. Bei dieser fand Ertl Oszillationen in der Produktion von CO2.

Synthese von Ammoniak

Auch eine klassische industrielle Reaktion hat Ertl analysiert: die Haber-Bosch-Synthese, für die immerhin schon zwei Nobelpreise vergeben wurden: 1918 an Fritz Haber, 1931 an Carl Bosch. Bei ihr reagieren Wasserstoff (H2) und Stickstoff (N2) zu Ammoniak (NH3), Ausgangsstoff u.a. für Kunstdünger. Natürlich mit Hilfe eines Katalysators, diesfalls fein verteiltes Eisen. Der Mechanismus dieser Reaktion, also die genaue Abfolge der Reaktionsschritte, konnte erst durch Ertls Untersuchungen geklärt werden. Etwa die Frage: Welcher Schritt bestimmt die Geschwindigkeit der gesamten Reaktion? Es ist die Spaltung der – durch eine Dreifachbindung sehr stabilen – N2-Moleküle. Sie wird beschleunigt, wenn ein wenig Kalium auf den Eisenoberflächen ist: wie und wieso, auch das konnte Ertl klären. Vielleicht überraschender war eine zweite Erkenntnis: Nach der Spaltung hängen sich die H-Atome nacheinander ans (adsorbierte) N, es entsteht erst NH, dann NH2, dann NH3.

Ertls Methoden „werden sowohl in akademischer Forschung als auch in der industriellen Entwicklung chemischer Prozesse verwendet“, sagt das Nobelpreiskomitee. Mehr noch: Er habe eine „experimental school of thought“ begründet. Die immer technisch up-to-date blieb – bis zur Erforschung ultraschneller Oberflächenprozesse mit Femtosekunden-Lasertechnologie.

NEUER NOBELPREISTRÄGER

Gerhard Ertl, geboren 1936 in Stuttgart, erfuhr vom Nobelpreis just an seinem 71.Geburtstag: „Mir kamen die Tränen“, gestand er: „Ich hoffe, dass der Nobelpreis mein Leben nicht sehr verändern wird.“ Ertl, von 1986 bis 2004 Leiter der Abteilung „Physikalische Chemie“ am Fritz-Haber-Institut (Berlin), wird von Kollegen für sein großes „Talent in der Mitarbeiterführung“ gepriesen. Günther Rupprechter (TU Wien), der sechs Jahre bei Ertl gearbeitet hat, nennt ihn einen „Gentleman-Typ“.

Im Fritz-Haber-Institut war Ertl auch, als ihn der Anruf aus Stockholm erreichte. Vor allem in der Früh ist er meist im Institut. Seit seiner Emeritierung will Ertl, sagt er, „die Ernte heranreifen sehen“, also die Karrieren seiner vielen Schüler verfolgen. Er spielt Klavier (z.B. bei Institutsfeiern), kümmert sich um seine Enkel und um seine zwei Katzen.

Am 10.Dezember wird der mit zehn Millionen Kronen (1,1 Mio. Euro) dotierte Preis in Stockholm überreicht. [AP/Bruns]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.10.2007)

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