Russland: Ein Loch – noch länger als der Brennerbasistunnel

Unter der Beringstraße zwischen Sibirien und Alaska will Russland den weltweit längsten Tunnel graben.

Moskau. Bereits 1905 schlug ein französischer Ingenieur dem russischen Zaren Nikolai II. vor, einen rund 100 Kilometer langen Tunnel unter die Beringstraße zu bauen, um das Russische Reich mit dem amerikanischen Kontinent zu verbinden. Das Projekt scheiterte, auch wenn die Regierung ihr Plazet gegeben hatte. Selbst dem Zaren, dem damals reichsten Menschen der Welt, war die Summe zu hoch. Dann kamen der Erste Weltkrieg und die Oktoberrevolution dazwischen.

Nun, 102 Jahre später, hat Russlands Präsident Wladimir Putin die Idee des Franzosen wieder aufgegriffen. Er will den Megatunnel unter der 85 Kilometer breiten Meerenge bauen. Ein Tunnel unter der Beringstraße – benannt nach dem dänischen Entdecker Vitus Bering, der 1728 die Meerenge durchfuhr – wäre deutlich länger als das derzeit größte Tunnelprojekt, der Brennerbasistunnel.

Die Moskauer Wirtschaftszeitung „Vedomosti“ schreibt von „Gigantomanie“. Schließlich soll die eurasisch-amerikanische Transkontinentale zwischen 55 und 67 Mrd. Dollar (bis zu 48,8 Mrd. Euro) kosten. Die Baukosten alleine für den Tunnel sollen zehn bis zwölf Mrd. Dollar betragen, als Bauzeit veranschlagt man zehn bis 15 Jahre.

Private Investoren gesucht

Das russische Wirtschaftsministerium will für den Transportkorridor – neben einer Eisenbahnverbindung sollen auch durch den Tunnel Öl- und Gaspipelines sowie Stromleitungen gelegt werden, um russische Energieträger auf den amerikanischen Kontinent zu liefern – Investoren in Russland, Kanada und den USA gewinnen. In einer Erklärung hieß es, private wie staatliche Investoren müssten herangezogen werden. Wie das geschehen soll, ist unklar. Erst einmal will das Wirtschaftsministerium die Regierungen Russlands, Kanadas und der USA in einem Brief aufrufen, das Projekt voranzubringen.

Es geht um eine 6000 Kilometer lange Verbindungsstrecke von der Stadt Jakutsk, Russlands Hauptstadt der Diamantenproduktion in der Republik Jakutien, über Magadan und Anadyr im Fernen Osten bis nach Alaska. Russland hat es sich zum Ziel gemacht, nach der Erschließung der Rohstoffressourcen in Westsibirien – diese Aufgabe hatten die Sowjets erfüllt – nun die Rohstoffe im schwer zugänglichen Ostsibirien auszubeuten. Es geht da vor allem um Öl, Gas, Wasserkraft und seltene Metalle.

Eine der treibenden Kräfte der Erschließung Ostsibiriens und des Fernen Ostens ist Russlands reichster Unternehmer Roman Abramowitsch. Er ist Gouverneur der Region Tschukotka, von wo der Bering-Tunnel starten soll. Putin hatte kürzlich das Rücktrittsgesuch Abramowitschs, der in London lebt und nur wenige Male im Jahr nach Tschukotka kommt, abgelehnt. Abramowitsch solle die Region weiterentwickeln, hieß es.

Auf der Halbinsel leben vor allem Rentierzüchter und Walfänger. Die pendeln bereits im Winter auf dem Eis auf der Beringstraße zwischen Russland und Amerika hin und her. Einer Berechnung des Wirtschaftsministeriums zufolge könnte sich das Milliardenprojekt frühestens 30 Jahre, nachdem eine Auslastung von 70 Mio. Tonnen Fracht pro Jahr erreicht ist, amortisieren. Selbst diese Kalkulation scheint vielen gewagt zu sein. So erinnert „Vedomosti“ an das Milliardengrab Eurotunnel.

Der neue Tunnel würde die Entwicklung Sibiriens voranbringen, sagt Chefökonom Jevgeni Nadorschin von der Trust Investmentbank in Moskau. Aber durch bessere Häfen am Pazifik und eine bessere Anbindung der Umschlagplätze ließe sich der selbe Zweck billiger erreichen. „Außerdem wollen die USA Alaska unseres Wissens nicht unbedingt zu einem Drehkreuz machen“, sagt er.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.04.2007)

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