Slowakei: Gesundheitssystem in der Krise

Premierminister Robert Fico
Premierminister Robert Fico(c) AP (Petr David Josek)
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Die alte Regierung wollte privatisieren, die neue verbietet Krankenkassen Gewinne.

PRESSBURG. Was die Medien über das slowakische Gesundheitswesen berichten, zeigt nur die Spitzen der Eisberge an Bewundernswertem und Furchterregendem. In ein und dem selben Krankenhaus gibt es medizinische Spitzenleistungen und chaotische Fahrlässigkeit. Da werden anspruchsvolle Herztransplantationen an Kleinkindern mustergültig durchgeführt – und andere Kinder sterben über Nacht an banalsten Ursachen, weil das Pflegepersonal aus Überlastung oder Schlampigkeit auf sie vergessen hat.

Kostenlos oder gegen eine symbolische Ambulanzgebühr wird in manchen Fällen beim leisesten Krankheitsverdacht alles aufgefahren, was man sich an teurer Diagnosetechnik und Therapie nur vorstellen kann (und in Österreich teuer selbst bezahlen müsste) – und dann wieder kann eine simple Behandlung nicht rechtzeitig erfolgen, weil kein Geld für das Medikament vorhanden ist.

Bei Ärzten und Pflegern findet man ebenso Arroganz und sadistische Gehässigkeit gegenüber Patienten wie leidenschaftliches Engagement. Die monatelang wiederholte Streikdrohung der Ärzte und des Pflegepersonals für bessere Bezahlung und Arbeitsbedingungen wird von der Bevölkerung ambivalent bewertet.

Für keinen Patienten sind in den vergangenen zwei Jahren so viele und widersprüchliche Diagnosen und Therapievorschläge erstellt worden wie für das slowakische Gesundheitswesen. Denn auch wenn es „Gesundheitssystem“ heißt, wirkt es weder gesund, noch erkennt man viel System in seinem Funktionieren. Das permanente „Herumdoktern“ durch ständig wechselnde Experten mit allzu gegensätzlichen Heilungsphilosophien hat das Chaos vergrößert.

Staat versus privat

Unter der im Juni 2006 abgewählten Mitte-Rechts-Regierung von Ministerpräsident Mikulás Dzurinda hatte der liberale Gesundheitsminister Rudolf Zajac eine der radikalsten Gesundheitsreformen Europas begonnen, wodurch im staatlichen Gesundheitswesen kein Stein auf dem anderen bleiben und so gut wie alles in private Hände gelegt werden soll.

Doch viel mehr als das Abreißen des Alten schaffte Zajac vor den Wahlen nicht mehr. Bevor die privaten Strukturen ihr Funktionieren unter Beweis stellen konnten, brachte der Wahlsieg des Linkspolitikers Robert Fico die gegenteilige Philosophie ans Werk. Der neue Gesundheitsminister Ivan Valentovic soll gemäß Ficos Wahlkampfversprechen das Grundübel der fehlenden Finanzierbarkeit des Gesundheitssektors beseitigen. Dieses sieht Fico darin, dass für das Gemeinwohl vorgesehene Finanzmittel des Staates zum Erzielen privater Gewinne missbraucht würden. Deshalb sollen zuallererst die Krankenkassen ihren „öffentlich-rechtlichen Charakter“ zurück bekommen.

Indem die Vorgängerregierung den Sektor für Privatfirmen öffnete, habe sie „die Grundprinzipien des öffentlichen Krankenversicherungssystems verletzt“, kritisiert Valentovic im Bericht für den Ministerrat, der zur Argumentation einer Gesetzesnovelle dienen soll. Ursprünglich wollte Valentovic die privaten Kassen überhaupt wieder rück-verstaatlichen. Die Finanzierung der Gesundheitskosten sollte vollständig einer einzigen staatlichen Krankenkasse (als Fusion aller bisherigen staatlichen und privaten) übertragen werden.

Keine konsensfähigen Rezepte

Für private Kassen wäre als Betätigungsfeld nur das Feld der freiwilligen Privatversicherung für Zusatzleistungen geblieben. Obwohl Premier Fico diese Absicht unterstützte, zeichnete sich bald ab, dass sich dafür keine Mehrheit im Ministerrat und erst recht keine im Parlament finden ließe. So versucht es Valentovic vorläufig nur mit einem Verbot von Gewinnen für Krankenkassen – und erntet Bedenken von Verfassungsjuristen sowie Oppositionskritik.

Da es für weitere Schritte selbst innerhalb der Regierung keine konsensfähigen Rezepte gibt, konkurrieren die Verantwortlichen in der Dramatik der Beschreibungen des Ist-Zustandes: Finanzminister Ján Pociatek wähnt das slowakische Gesundheitswesen „in einem katastrophalen Zustand“. Gesundheitsminister Valentovic dagegen will nicht einmal eine von der Opposition diagnostizierte „Krise“ sehen, sondern nur die Notwendigkeit von „Maßnahmen zur Erhaltung eines funktionierenden Gesundheitssystems“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.07.2007)

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