Montenegro: Tiefe Schatten der schwarzen Berge

(c) AP (Srdjan Ilic)
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Ein Staat als Familienbetrieb: Von der Unabhängigkeit, die Montenegro vor einem Jahr erklärt hat, profitieren bei weitem nicht alle Menschen.

BUDVA. Das Land der schwarzen Berge ist angesagt. Alles, was im internationalen Jetset Rang und Namen hat, drängelt sich ein Jahr nach der Unabhängigkeit an Montenegros malerischer Küste. Die Rolling Stones gastierten im Sommer in Budva. Russlands Fußball-Oligarch Roman Abramowitsch kreuzte mit seiner Yacht vor der Küste. In Kotor machten sich die Schauspieler Catherine Zeta-Jones und Michael Douglas zur Immobilien-Hatz auf. In den Küstenorten drängen sich mittlerweile mehr Maklerbüros als Lebensmittel-Geschäfte. Die Preise sind auf das Niveau der Cote d'Azur geklettert.

Finanzminister Igor Luksisspricht von einem „Boom ungekannten Ausmaßes“, während er eine Liste „positiver Indikatoren“ herunterrasselt: Das Wachstum betrage zwölf, die Inflation nur zwei Prozent. Die Staatsschuld sei auf 30 Prozent, die Arbeitslosigkeit auf zwölf Prozent geschrumpft. 1,3 Mrd. Euro seien seit der Unabhängigkeit von Serbien ins Land geströmt: „Das Ausland hat Vertrauen in uns. Montenegro öffnet sich – zum Wohle seiner Menschen.“

Schwarzgeld fließt zurück

Das quittiert Jadranka Rabrenovicmit einem spöttischen Lächeln: Neu seien in Montenegro nur die explodierenden Immobilienpreise, sagt die Wirtschaftsredakteurin der Zeitung „Dan“: „Tatsächlich hat sich hier nichts geändert.“ Die Investitionen aus dem Ausland erklärt die Journalistin mit zurückfließenden Schwarzgeldern, die während der 90er Jahre aus dem Land geschafft worden seien.

Bereits im zerfallenden Jugoslawien hatte sich Montenegro des Rufs als Schmugglerparadies erfreut. Der zu Zeiten des UN-Embargos generalstabsmäßig betriebene Zigarettenschmuggel sollte nicht nur zur Lebensader des Landes werden, sondern auch die Taschen von dessen Führung füllen.

Viele Politiker pflegten ihren Wohlstand mit Erbschaften zu erklären, sagt Zarija Pejovic von der „Bewegung für Veränderung“. Von Erbschaften könne aber keine Rede sein. „Kofferweise“ seien in den 90er Jahren Gelder von „Kurieren mit diplomatischen Pässen“ ins Ausland transportiert worden, so Rabrenovic. Wo das Geld verblieb, sei unbekannt. Auffällig sei, dass bei vielen der jetzigen Investitionen Banken ferner Inseln als Auftraggeber fungierten. „Wir wissen einfach nicht, wem unsere Betriebe gehören,“ kritisiert sie.

„Zar Milo“ zieht die Fäden

Nach fast 16 Jahren als Präsident und Premier erklärte Milo Djukanovic nach dem Unabhängigkeits-Referendum 2006 überraschend seinen Rücktritt. Doch noch immer zieht „Zar Milo“ die Fäden, führt den 620.000-Einwohner-Staat als Parteivorsitzender seiner sozialdemokratischen DPS wie ein ertragreiches Familien-Unternehmen. Obwohl sein Salär als Abgeordneter nur 800 Euro beträgt, erwarb er unlängst für 1,5 Mio. Euro sieben Prozent der Prva Bank. 30 Prozent der Anteile hält bereits sein Bruder Aco. Weitere Anteilseigner sind Schwestern, Onkel und Geschäftsfreunde.

Die Opposition forderte die Agentur zur Vermeidung von Geldwäsche auf, die Herkunft des Reichtums des Ex-Premiers zu ermitteln. Djukanovic habe von einer „gewissen Bank“ in London einen Kredit erhalten, teilte die Agentur mit – ohne deren Namen zu verraten. An der Wandlung seines früheren Chefs zum Banker findet der Finanzminister nichts Anstößiges. „Warum nicht?“, so Lukcic: „Auch anderswo engagieren sich Ex-Politiker im Business.“

Für breite Bevölkerungsschichten hat sich nichts geändert. Nur in die Küste und die Hauptstadt werde investiert, sagt etwa die 22-jährige Studentin Anna. Auch ihre Familie habe Schwierigkeiten über die Runden zu kommen: „Viele Leute hier leben nicht von ihrem Gehalt, sondern hangeln sich von Kredit zu Kredit.“

40 Prozent unter Armutsgrenze

Über 40 Prozent leben laut UN-Entwicklungsorganisation UNDP an oder unter der Armuts-Grenze. „Die Schere zwischen Arm und Reich geht auseinander,“ sagt UNDP-Experte Garret Tankosic-Kelly. Zwar ströme Geld ins Land: „Aber manche Investoren scheinen sich beim Schwimmen im trüben Wasser wohler zu fühlen.“

Korruption und organisierte Kriminalität hielten Montenegro „fest im Griff“, sagt Mirjan Klujak, Ökonomie-Professorin an der Universität Podgorica. Das wichtigste Ziel nach der Selbstständigkeit müsste eigentlich die Aufbau unabhängiger Institutionen sein: „Doch hier ist das Gegenteil der Fall – die Institutionen werden von der Macht kontrolliert“, sagt sie.

Das Volk sieht dies ähnlich. Eine kleine Gruppe habe den Staat „in der Tasche“, für die anderen sei das Leben gleich geblieben, sagt der Kellner Nebojsa. „Mafia“ sei derzeit das populärste Computer-Spiel in Montenegro: „Es ist wie im echten Leben. Nur einige wenige sind unabhängig – und der Rest von ihnen abhängig.“

AUF EINEN BLICK

Eindrucksvoll wirken die Erfolgsbilanzen Montenegros nach einem Jahr der Unabhängigkeit. Doch trotz eines Tourismus- und Immobilien-Booms profitieren nicht alle. Die Schere zwischen arm und reich wird größer. Aus welchen Quellen sich die vermehrten Investitionen speisen, ist ungewiss.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.09.2007)

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