Bulgarien droht „Mallorca-Syndrom“

Die Presse (Harald Hofmeister)
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Bulgarien lockt immer mehr ausländische Reisende an, doch Experten warnen vor einer Fehlentwicklung – wie den Boom bei „Alkohol-Touristen“ aus Skandinavien.

VARNA/SOFIA (ku/DPA). An der Schwarzmeerküste ist die Sommersaison vorbei. Die prächtigen Sandstrände bei Varna sind fast ausgestorben. Die Ruhe wird nur von der Open-Air-Disco gestört, die bis drei Uhr früh kilometerweit hörbar dahin wummert. Und diese ist bummvoll, bis zum bitteren, weil Alkohol-geschwängerten Ende. Vor allem für skandinavische Jugendliche ist Bulgarien zu einer Art „Alkohol-Paradies“ geworden. Denn eine Flasche Wodka kostet im Supermarkt umgerechnet nur zwei Euro. Auch unbegrenzte Mengen von preisgünstigen Spirituosen in den Angeboten der Reiseveranstalter sorgen für einen regelrechten Alkohol-Tourismus.

Rein von den Zahlen her entwickelt sich der bulgarische Fremdenverkehr prächtig: Bis Ende August verbrachten fast vier Mio. Ausländer ihren Urlaub in dem neuen EU-Staat. Das waren sieben Prozent mehr als im selben Zeitraum 2006, das bereits ein Rekordjahr gewesen war. Zum Vergleich: In Österreich urlaubten im Sommer (bis Ende August) 7,8 Mio. Ausländer (plus fünf Prozent). Aus der EU kamen 30 Prozent mehr Urlauber nach Bulgarien. Diese brachten 1,3 Mrd. Euro ins Land, 17 Prozent mehr als im Vorjahr.

„Es wird zu viel gebaut“

In den Augen von Tourismusexperten geht die Entwicklung aber in die völlig falsche Richtung. Bulgarien habe den „spanischen Weg“ eingeschlagen, bemängelt Anelija Kruschkowa, die Leiterin der staatlichen Tourismusbehörde. Ins gleiche Horn bläst Blagoj Ragin, der den Hotel- und Gaststättenverband leitet: Er spricht von einem „Mallorca-Syndrom“. Und die Vorsitzende des Verbandes der Reiseagenturen (BATA), Donka Sokolowa, meint, dass Bulgariens Tourismus „einen sehr gefährlichen Punkt erreicht“ habe.

Preisgünstige Angebote locken zwar immer mehr Urlauber nach Bulgarien, doch die erhofften Touristen der gehobenen Klasse kamen trotz Angeboten wie Wellness, Golfplätze und Yachturlaub nicht. Politiker warnen bereits davor, die Ferienorte in ein „Heim“ für sozial Schwache aus Westeuropa zu verwandeln.

Als größtes Problem wird die übermäßige Bebauung der Ferienorte bemängelt. Offizielle Zahlen für Gesamt-Bulgarien gibt es nicht, Schätzungen zufolge wurden allein seit Jahresbeginn 1800 neue Hotels und Gaststätten eröffnet, vorwiegend am Schwarzen Meer. Der Baumboom habe zu einem „Preisverfall“ und einer „enormen Konzentration von Menschen“ geführt, sagt Kruschkowa.

„Es wird zu viel gebaut, das schadet uns schon“, sagt auch Kiril Yordanov, Bürgermeister der Schwarzmeerstadt Varna, die für ein Viertel des bulgarischen Tourismus steht. Seinen Angaben zufolge hat sich die Zahl der Betten in der Region verdreifacht. Die Investoren kommen vorwiegend aus zwei Staaten: aus Russland – „wie früher auch, nur dieses Mal kommen sie offiziell“, so Yordanov – und aus Großbritannien. Die Briten kaufen und bauen massenhaft Ferienhäuschen.

Fehlende Infrastruktur

In Varna stehen Hotels schon in der vierten und fünften Reihe – also weit weg vom Meer. „Wer soll dort noch hinfahren – zumindest öfter als einmal hinfahren“, fragt sich Michael Angerer, Österreichs Handelsdelegierter in Sofia.

Trotz aller Bestrebungen, kaufkräftigere Touristen anzulocken – etwa durch Gesundheitsangebote wie plastische Chirurgie – macht sich Bürgermeister Yordanov keine Illusionen. „Der Massentourismus wird wichtig bleiben.“ Nicht zuletzt deshalb, weil der Aufbau von weitergehenden Angeboten nicht einfach ist. Nur ein Beispiel: Rund um das antike Orpheus-Heiligtum beim südbulgarischen Dorf Tatul gibt es keinerlei angemessene Hotels, Gaststätten oder Cafés. Hinzu kommt die schlechte Infrastruktur. Es gibt fast keine Autobahnen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.10.2007)

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