Häusermarkt: Die nächste US-Blase platzt in Zeitlupe

Die sinkenden US-Immobilienpreise könnten die gesamte amerikanische Wirtschaft in ein Tief reißen. Denn gleichzeitig steigen die Zinsen stark an – und viele Amerikaner stehen vor dem Ruin.

Washington. Für Lee Williams ging ein Traum in Erfüllung. Im Mai 2004 setze er seine Unterschrift unter einen dicken Stapel Papier, der ihn zum Hausbesitzer machte. Endlich hatte der 38-Jährige seine eigenen vier Wände, sein kleines „Schloss“ mit drei Schlafzimmern in Arlington, einem Vorort von Washington.

Drei Jahre später wurde der Traum zum Alptraum. Weil die Zinsen stiegen, konnte Williams die Raten nicht mehr bezahlen. Schon die 2200 Dollar, die er früher pro Monat bezahlte, gingen sich nur knapp aus. Doch die 3300 Dollar pro Monat, die die Bank plötzlich wollte, waren für ihn unbezahlbar. Er verlor das Haus, jetzt steht Williams auf der Straße und sein Traum wieder zum Verkauf.

Hauspreise verdoppelten sich

Wie ihm ergeht es derzeit hunderten Amerikanern. In den Boomzeiten des Häusermarktes, als die Zinsen niedrig waren, konnte sich jeder seinen Traum erfüllen. Banken gaben großzügig Kredite, sogar an jene, die nicht einmal die paar tausend Dollar für die ohnehin geringen Anzahlungen hatten. Die Nachfrage war so groß, dass der Wert des Eigenheims jährlich um zweistellige Prozentzahlen stieg. In manchen Gegenden rund um Washington verdoppelte sich der Wert eines Hauses in den vergangenen vier Jahren.

Doch jetzt ist der Boom vorbei. Die Zinsen sind gestiegen; einige Banken, die früher großzügig Kredite verteilten, schlittern in die Pleite, genauso wie Baufirmen, die einst ein Haus schon verkauften, bevor überhaupt der Keller ausgehoben war.

Die Immobilien-Blase, die viele mit der Internet-Blase der späten 90er Jahre vergleichen, platzt. Nicht mit einem großen, spektakulären „Plopp“, sondern in Zeitlupe. Angefangen hat es im vergangenen Jahr, heuer geht der Abwärtstrend weiter und dabei „stehen wir gerade erst am Anfang“, sagt der Wirtschaftsexperte Dean Baker zur „Presse“. Das Angebot am Immobilienmarkt ist mittlerweile so groß und die Nachfrage derart gering, dass die Hauspreise in den USA zum ersten Mal seit der großen Depression in den 30er Jahren sinken. „Die Entwicklung bedroht die gesamte US-Wirtschaft“, sagt Baker. Denn die hat in den vergangenen Jahren vor allem vom Boom am Immobiliensektor gelebt.

Immobilie rentabler als Aktie

Nach der Internet-Blase und den Anschlägen vom 11. September 2001 senkte die US-Notenbank die Zinsen auf ein historisches Tief und löste damit den Aufwärtstrend auf dem Immobiliensektor aus. Häuser waren eine bessere Anlage als Aktien, in die viele ihr Vertrauen verloren hatten. 25 Prozent aller im Jahr 2005 verkauften Immobilien waren reine Spekulation, die Käufer zogen nie ein.

Die niedrigen Zinsen lösten einen Wettstreit der Banken um Kreditnehmer aus. Kein Ansuchen wurde abgelehnt. Tatsächlich wurden im Jahr 2005 beachtliche 42 Prozent aller Häuser ohne einen einzigen Cent Anzahlung gekauft. In den vergangenen zwei Jahren verliehen Banken insgesamt 3200 Mrd. Dollar Baudarlehen.

Mit dem Anstieg der Zinsen erging es vielen wie Lee Williams. Die Raten waren nicht mehr finanzierbar, es gab Zwangsvollstreckungen. Allein im März dieses Jahres waren es US-weit 149.150, fast 50 Prozent mehr als im März 2006. Nach Schätzungen werden heuer 1,6 Millionen Häuser gepfändet werden.

Banken in Verkaufspanik

Die Banken wollen die Immobilien möglichst schnell in Geld umsetzen, was zum Verfall der Hauspreise beiträgt. Die Investitionen in Häuser, mit denen viele Spekulanten auf ordentliche Gewinne hofften, sehen jetzt ähnlich gut aus wie Aktien von Dotcom-Firmen im Juni 2000.

Die Hypothekenbanken, die sich auf zweitklassige Kredite spezialisiert haben, fallen der Reihe nach um. 30 haben in den vergangenen zwölf Monaten ihr Geschäft eingestellt, sechs seit Dezember Insolvenz angemeldet. Auch Baufirmen zittern: Die Gewinne von KB Home, einem der größten Hausbauer und -händler in den USA, brachen um 84 Prozent ein. Der Einbruch gefährdet Zehntausende Jobs, denn fast 40 Prozent aller seit 2001 geschaffenen Arbeitsplätze hängen mit dem Immobilienmarkt zusammen.

Die Krise trifft auch jene, die seit Jahrzehnten Hausbesitzer sind. Denn die steigenden Preise ermöglichten immer höhere Hypotheken, und so wurde das Haus zum Bankomaten. Mit dem Geld finanzierten sie neue Autos, Plasma-TV-Geräte und teure Urlaubsreisen. Sie lebten gut vom theoretischen Wert ihres Hauses. Bald werden sie der Bank mehr Geld schulden, als ihr Eigenheim tatsächlich wert ist.

Der US-Immobilienexperte Ken Heebner befürchtet, dass die Immobilienpreise in den kommenden Jahren um 20 Prozent sinken werden. Baker spricht von mehr als sieben Billionen Dollar, die dadurch verloren gingen.

„Amerikaner müssen sparen“

Der Folge ist klar: „Die Amerikaner müssen sparen.“ In den vergangenen zwei Jahr hatte das Land erstmals seit mehr als 70 Jahren eine negative Sparquote (zuletzt gab es die in Zeiten der großen Depression). „So können wir nicht weiterleben“, meint Baker. „Die Menschen werden wieder mit kleineren Fernsehern leben müssen, ihre Autos länger fahren und bescheidenere Reisen machen müssen.“ Nachsatz: „Das wird für die gesamte US-Wirtschaft brutal.“

Inline Flex[Faktbox] IN DER ZINSEN-FALLE("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.04.2007)

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