Wenn Greenspan vor der Blase warnt

Analyse. Die Milchmädchen-Haussean Chinas Börsen bereitet Finanzexperten schlaflose Nächte.

WIEN.Alan Greenspan, der einst mächtige Chef der US-Notenbank Fed, ist seit Anfang 2006 Pensionist. Aber sein Wort zählt in der Finanzwelt noch immer: Kaum hatte der 81-jährige Fed-Rentner Mittwochabend in den USA verkündet, in China habe sich eine Aktienkursblase gebildet, die mit einem drastischen Kurseinbruch platzen könnte, war es mit dem Höhenflug der Börsenkurse vorbei: Die US-Börsen drehten ins Minus, die meisten asiatischen Börsen kamen gleich gar nicht mehr ins Plus und die europäischen Märkte, die sich tags zuvor so freundlich präsentiert hatten, eröffneten mit Verlusten.

Auch OECD warnt

Greenspan ist freilich nicht der einzige, der vor dem großen Börsenknall im Reich der Mitte warnt: Die OECD sprach am Donnerstag die Befürchtung aus, es werde in China zu einer „merklichen Korrektur“ kommen. Das kann Anleger schon nervös machen. Greenspan meint zwar, der Crash werde hauptsächlich China treffen, die restliche Welt aber nicht sonderlich berühren. Aber dass es auf den Weltbörsen ohne größere Kursrückgänge abgeht, wenn die chinesischen Börsen krachen, will niemand so recht glauben.

Tatsächlich ist die Situation in der aufstrebenden Wirtschaftsmacht China dramatisch geworden: Der Index der Börse Shanghai ist seit Jahresbeginn um 55 Prozent hochgegangen, jener in Shenzen sogar um 120 Prozent. Seit Anfang des Vorjahres hat sich das Kursniveau in China verdreifacht. Das lasse sich mit der Entwicklung der Fundamentaldaten nicht erklären, meinen Experten. Es sei also eine riesige Blase im Entstehen.

Tatsächlich ist zwischen Shanghai und Shenzen eine klassische „Milchmädchen-Hausse“ im Gange: Jeder, der kann, deckt sich auf dem Aktienmarkt ein. Zumeist unter Zuhilfenahme von Krediten, was die Lage zusätzlich brenzlig macht.

99 Prozent der Umsätze an den China-Börsen werden derzeit von Privaten gemacht. Fast 100 Millionen Aktiendepots existieren schon – und täglich kommen 300.000 dazu. Der Anteil der Aktionäre an der erwachsenen Bevölkerung ist damit in China schon fast doppelt so hoch wie im viel „reicheren“ und entwickelteren Österreich. Pensionisten belagern Internet-Cafés, um online zu handeln, manche Unternehmen geben ihren Angestellten eine Stunde am Tag für Aktiengeschäfte frei. „Es ist leichter, mit Aktien Geld zu verdienen als mit Arbeit“, zitiert die Nachrichtenagentur Bloomberg einen Koch aus Shanghai. Dass freilich viele schon zum Pfandleiher gehen, um Geld für Aktien aufzutreiben, beginnt den Chinesen selbst Sorge zu machen.

Aktienhysterie dieses Ausmaßes hat jedenfalls den Charakter eines Pyramidenspiels: Die letzten, die zu völlig überhöhten Preisen noch kaufen, beißen die Hunde.

„Kontrolle verloren“

Dass China die Situation noch in den Griff bekommt, glauben Finanzexperten nicht mehr: „Die Chinesen haben durch das künstliche Drücken des Yuan-Kurses bereits die Kontrolle über die Geldpolitik verloren, jetzt verlieren sie auch noch die Kontrolle über die Börsen“, hieß es.

Greenspan meint zwar, das Welt-Finanzsystem sei durch die China-Blase nicht gefährdet, aber in diesem Jahr hat ein kurzfristiger „Ausverkauf“ in Shanghai und Shenzen die Kurse schon einmal weltweit recht ordentlich hinunter gedrückt. Die einzigen, die sich davon nicht beeindrucken lassen, sind die Chinesen selbst: Der Tagesverlust in Shanghai hielt sich am Donnerstag in ziemlich engen Grenzen. Solche Greenspan-Warnungen seien wie ein paar Eisstücke, die man in kochendes Wasser wirft – da kühlt nichts ab.

LAND DER AKTIONÄRE

Die Kurse an Chinas haben sich seit Anfang 2006 verdreifacht. Ex-Fed-Chef Greenspan sieht eine Kursblase, die bald platzen wird.

100 Millionen Chinesen handeln mit Aktien. Der Anteil der Aktionäre an der erwachsenen Bevölkerung ist in China fast doppelt so hoch wie Österreich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.05.2007)

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