Das Comeback des Sozialismus: Ein Gespenst kehrt zurück

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Während die Globalisierung Europa ein neues Jobwunder beschert, blüht auch der Anti-Kapitalismus auf.

Vor wenigen Jahren noch als weitgehend reformunfähig abgeschrieben, sorgt Europa heute mit Themen für Schlagzeilen, die eher mit den Wirtschaftsräumen Asien und Nordamerika in Verbindung gebracht werden: Die Konjunktur erlebt einen wahren Höhenflug, die Pro-Kopf-Einkommen haben wie die Beschäftigung neue Rekordstände erreicht, und in zahlreichen Staaten ist bereits wieder das Wort „Vollbeschäftigung“ zu hören. Rein technisch gesehen heißt das freilich nicht, dass alle Menschen Arbeit haben. Vielmehr, dass sich die Arbeitslosenrate der Vier-Prozent-Marke nähert.

In anderen Worten: Die Marktwirtschaft feiert derzeit einen wahren Triumphzug. Allerdings eher auf den Märkten denn in den Herzen der Menschen. Gleichzeitig zu den wirtschaftlichen Frohbotschaften wächst in Europa nämlich das Gefühl der Ungleichheit – und damit die Kritik am Kapitalismus. Breite Massen fühlen sich von den Wohlstandsgewinnen weitgehend ausgeschlossen.

„The winner takes it all“?

Auslöser dafür sind die in vielen reichen Staaten Europas in den vergangenen zehn Jahren im Schnitt real kaum gestiegenen Arbeitnehmerentgelte (siehe Grafik). Während Manager mit überschießenden Vergütungen Schlagzeilen machten. Allerdings gab es bei qualifizierten Arbeitnehmern deutliche Einkommenszuwächse.

Diese dennoch aufkeimende „The winner takes it all“-Stimmung versuchen Politiker der Linken verstärkt für sich zu nutzen. Geschickt rücken sie die Vorstände als „Raffzähne“ ins Bild, deren finanzieller Erfolg auf Kosten kleiner Arbeitnehmer gehe. Die deutsche Linke mit Oskar Lafontaine an der Spitze hat die „ungerechte Verteilung des steigenden Wohlstands“ medienwirksam zum politischen Credo erhoben.

Die Schuld an der ungünstigen Entwicklung wird den geöffneten Märkten gegeben. Ausgerechnet. Aus mehrheitlicher Sicht der Ökonomen ist das europäische Job- und Wirtschaftswunder nämlich eines der globalisierten Wirtschaft. Es sind die noch stärker boomenden Regionen Osteuropa und Asien, die Europas Wirtschaft antreiben. Die EU-Kommission schätzt, dass ein Fünftel des Wohlstands der Europäer auf ihrer Verflechtung in die Weltwirtschaft beruhen.

Eine Botschaft, die selbst in den kapitalistischen Hochburgen USA und Großbritannien nicht mehr so recht anzukommen scheint. Laut einer jüngst von der „Financial Times“ publizierten Umfrage halten in den beiden Staaten mehr Menschen die Globalisierung für negativ als für positiv. Anders das Bild in den Exportnationen Deutschland und Italien: Dort werden offene Märkte mehrheitlich positiv beurteilt, wenngleich mit sinkender Tendenz.

Die Marktwirtschaft steckt in einer Imagekrise. Nicht zuletzt in Österreich. Gemäß einer IMAS-Umfrage aus dem Jahr 2005 rangiert der Kapitalismus am unteren Ende der Sympathieskala. Unmittelbar vor dem Einsatz der Kernenergie und dem Islamismus.

Was bedeutet die Globalisierung für die Arbeitsmärkte Europas? Die Antwort auf diese Frage ist zweiteilig. Als der Welthandel in den 70er- und 80er-Jahren ins Laufen kam, waren schlecht qualifizierte Europäer klare Verlierer. Sie haben theoretisch zwar auch von billigeren Elektrogeräte aus Taiwan profitiert, aber auch häufig den Job verloren.

2007: 100.000 neue Jobs in EU

Dies trifft heute die Arbeiter in den osteuropäischen EU-Staaten. Laut einer Studie der Kommission aus dem Jahre 2005 werden in der Textil- und Bekleidungsindustrie Osteuropas in den Jahren 2005 bis 2010 an die 130.000 Arbeitsplätze für immer verloren gehen. China wird aufgrund billiger Lohnkosten, steigernder Produktivität und technologischer Qualität zum „Textil-Champion“ der Welt.

Heute profitieren die Europäer stark von der Globalisierung. 67 Prozent der EU-Bürger zwischen 15 und 64 Jahren haben heute einen Vollzeitjob. Das sind so viele wie nie zuvor oder fünf Prozent mehr als vor zehn Jahren. Das Pro-Kopf-Einkommen ist mit 24.600 Euro ebenfalls auf einem Höchststand.

Seit arbeitsintensive Industrien wie die Textilbranche ihre Krisen hinter sich gebracht haben, bringt die Globalisierung Europa netto neue Arbeitsplätze. Allein im zweiten Quartal 2007 entstanden bei Umstrukturierungen netto über 23.500 neue Arbeitsplätze. Von Jänner bis März waren es mehr als 77.000 Jobs netto. Zu diesem Ergebnis kommt die „Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen“. Diese EU-Einrichtung führt über alle Firmenumstrukturierungen Buch, bei denen zumindest 100 Stellen geschaffen oder abgebaut werden.

Globalisierung nutzt Österreich

Nur 3,4 Prozent der im zweiten Quartal verlorenen Jobs waren Opfer von Verlagerungen in andere Länder. Siebenmal öfter verlieren Europäer ihren Arbeitsplatz, weil ihre Firma insolvent wird.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt eine Studie des Management Clubs, die der „Presse“ exklusiv vorliegt (siehe Seite 19). Sukkus: Die Globalisierung schafft in Österreich mehr Jobs, als ihr zum Opfer fallen. Allerdings löst die Globalisierung ein Problem nicht: nämlich jenes, schlecht qualifizierte Europäer, deren Arbeitsleistung – so hart das klingen mag – zu teuer geworden ist, auf die neuen Herausforderungen vorzubereiten und auf den Arbeitsmarkt zurückzuführen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.08.2007)

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