Dörfer werden zu „Greisen-Asylen“

In Südosteuropa gibt es eine massive Abwanderung aus dem ländlichen Raum. Die zurückgeblieben Bevölkerung überaltert – und sie verarmt zusehends.

TIRANA/WIEN. Um gravierende Probleme im ländlichen Raum zu sehen, muss man gar nicht weit fahren: In ganz Südosteuropa stirbt das „flache Land“. Die Ballungszentren erleben einen ungeahnten Boom. Junge, motivierte, gut ausgebildete Menschen verlassen ihre Dörfer und ziehen in die Städte – oder gar ins Ausland.

Erhard Busek, Koordinator des Stabilitätspaktes für Südosteuropa, fand dafür drastische Worte: Man erlebe eine „totale Entleerung des ländlichen Raums“, konstatierte er bei einer Konferenz. Wenn man kein Gegenrezept finde, würden weite Teile der Westbalkanländer zu „Greisen-Asylen“.

Dramatisch ist die Situation etwa in Serbien: Dort wurden in den letzten Jahren Dutzende Dörfer aufgegeben. Offiziellen Angaben zufolge ist die Armut im ländlichen Raum auf über 13 Prozent gestiegen – in der gesamten serbischen Bevölkerung ist sie auf unter zehn Prozent gesunken. Vergleichbare Entwicklungen gibt es auch in Bulgarien: In den Gebirgslagen verschwinden jährlich Dörfer von der Landkarte, die Menschen ziehen scharenweise in die Hauptstadt Sofia. Einen ähnlichen Eindruck bekommt man wenn man durch Rumänien reist: In Siebenbürgen steht mancherorts jedes zweite Haus leer, auf den Straßen sieht man praktisch nur alte Frauen. In die Landwirtschaft, die de facto die einzige Einkommensquelle für die zurückgebliebene Bevölkerung ist, wird kaum etwas investiert. Dafür fehlt das Geld.

Allerdings: Nur am Geld liegt es auch nicht, wie eine aktuelle Studie der Weltbank zeigt. Die Ökonomen haben dazu Albanien untersucht – ein Land, in dem die Bevölkerungsmehrheit außerhalb von Städten lebt. Die Hälfte der Arbeitskräfte sind in der Landwirtschaft tätig – auf Mini-Höfen, die im Schnitt 1,1 Hektar klein sind.

Niedriges Sozialprestige

Da die Landwirtschaft in Albanien ein niedriges Sozialprestige besitzt und alternative Jobs fehlen, wandern junge Albaner in Scharen aus: Jede Dritte dörfliche Familie stellt zumindest einen Gastarbeiter. Die meisten schicken Geld nach Hause, diese dringend benötigten Mittel steigern das Haushaltseinkommen beträchtlich.

Doch in die Produktivitätssteigerung der Betriebe wird davon kaum etwas investiert, haben die Weltbankexperten herausgefunden. Vielmehr haben die Überweisungen von den Verwandten dazu geführt, dass die Menschen weniger arbeiten. Das sind wohl kaum gute Voraussetzungen für den Aufbau einer besseren Zukunft.

AUF EINEN BLICK

In Südosteuropa verschwinden immer mehr Dörfer von der Landkarte. Auf dem Land verbleiben vor allem alte und schlecht aus-gebildete Menschen. Viele Junge zieht es überhaupt ins Ausland.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.10.2007)

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