Angeklagter im Dilemma

Spieltheorie: Wer gesteht, gewinnt und verliert.

Das Gefangenendilemma gehört zu den klassischen Grundaufstellungen der Spieltheorie und ist hervorragend geeignet, zu überprüfen, wann Akteure ihre Mitspieler im Stich lassen, um nicht selbst im Stich gelassen zu werden. In der einfachsten Variante geht es um zwei Personen vor Gericht: Wer allein eine gemeinsame Tat gesteht und den anderen belastet, kommt frei, der andere muss fünf Jahre hinter Gitter. Gestehen beide, fassen beide vier Jahre aus. Gesteht keiner, reichen die Indizien aus, um beide für zwei Jahre einzusperren.

Insgesamt wäre die beste Lösung, wenn beide kooperieren und schweigen. Jeder für sich kommt aber zu einer anderen für ihn besten Variante, und zwar aus folgender Überlegung: Wenn ich rede, bringt mir das nur Vorteile, denn wenn der andere schweigt, gehe ich frei, statt für zwei Jahre ins Gefängnis. Und wenn der andere redet, muss ich nur vier Jahre absitzen statt fünf. Die Spieltheorie nennt daher das Geständnis die „rationale Entscheidung“ – selbst für Unschuldige.

Wie aber könnten die Akteure auf die eigentlich bessere Variante des beiderseitigen Schweigens kommen? Entweder durch großes Vertrauen zueinander oder durch schwere Sanktionen – wie etwa die Mafia für den Fall einer Kronzeugen-Aussage mit dem Umbringen der ganzen Familie droht. Existiert keine dieser beiden Rahmenbedingungen, so entscheiden sich – wie Experimente ergeben haben – in der Regel drei Viertel der Versuchspersonen für die rationale, nicht-kooperative Variante, selbst jene, die sonst eher altruistisch handeln: weil sie nicht wollen, dass der andere durch egoistisches Handeln triumphiert.

Im Fall Bawag/Zwettler liegt kein klassisches Gefangenendilemma vor, weil nicht eindeutig ist, dass sich Johann Zwettler durch sein Geständnis Vorteile erwirkt bzw. die anderen belastet. Dennoch beinhaltet der Fall viele Elemente des Dilemmas. Hat das erste Geständnis im Prozess ein milderes Urteil zur Folge, ist es wohl rational, nicht darauf zu vertrauen, dass alle anderen bis zuletzt auf „nicht schuldig“ setzen. mip

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.11.2007)


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