Klares Denken schreckt den Teufel

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Konrad Paul Liessmann. Ein Philosoph mit Esprit und einer Schärfe, die Zeitgeist-Dummheiten zerbröseln lässt.

Viel Feind, viel Ehr: Nicht alle lieben Liessmann; wie soll's anders sein bei einem, der nicht nur die gesitteten universitären Kampfplätze, sondern auch die öffentlichsten, oft eher ungeistigen nicht scheut: die Medien. Mancher glaubte ihn denn auch im kürzlich erschienenen unnetten Roman-Porträt eines „Medienphilosophen“ wiederzuerkennen ... Aber das sind eben die Schattenseiten von Öffentlichkeit und Ruhm. Dass dieser Mann vor lauter Reden nicht zum Nachdenken käme, kann man ihm jedenfalls nicht vorwerfen. Liessmann, der heuer auch noch als erster Philosoph zum österreichischen „Wissenschaftler des Jahres“ gekürt wurde, macht die Philosophie „sexy“; er kann im Radio Herrn Feuerbach von allem Staub befreien, dass man sich wünscht, ihn gekannt zu haben und dessen Bücher gleich auf die Leseliste setzt. Aber Achtung! Wer von Liessmann verführt wird, alte Philosophen zu lesen, kann enttäuscht werden. Viele mögen besser philosophiert haben, aber so gut wie ihr später Vertrauter schreiben nur wenige.

Ein Solist, der Frischluft liebt

Liessmann denkt scharf und formuliert geschliffen, deswegen tut man gut daran, ihm nicht nur auf Ö1 zuzuhören, sondern ihn zu lesen: nicht nur im „Spectrum“ der „Presse“, wo er regelmäßig mit neuen Essays Debatten anheizt, sondern auch in einem der Dutzenden von Büchern, die er – wann, weiß niemand – schon geschrieben hat: die Einführungen in die großen Philosophen und ihre Probleme (die uns, wie er uns näher bringt, näher sind, als wir glauben); die Monografien, von Nietzsche und Kierkegaard bis Günther Anders, Gesellschafts- und Medientheoretisches, Kunst- und Kulturphilosophisches, Ästhetik etcetera etcetera. Zuletzt demontierte Liessmann im eben erschienenen Buch „Zukunft kommt!“ virtuos eine Gegenwart, die sich mit ihrer Zukunftssucht um sich selbst – also die Gegenwart – bringt. Und unter seinen durch Bildung geschärften Denkschnitten zerbröseln auch die Zeitgeist-Dummheiten des Bildungsdiskurses. Mit der Ökonomisierung des Bildungswesens gebe man die wesentlichen Bildungsziele auf, demonstrierte er vor einem Jahr in „Theorie der Unbildung. Die Irrtümer der Wissensgesellschaft“: Freiheit, Mündigkeit, Selbstverantwortung. „Was die Bildungsreformer aller Richtungen eint, ist ihr Hass auf die traditionelle Idee von Bildung. Dass Menschen ein zweckfreies, zusammenhängendes, inhaltlich auf den Traditionen der großen Kulturen ausgerichtetes Wissen aufweisen könnten, das sie nicht nur befähigt, einen Charakter zu bilden, sondern ihnen auch ein Moment von Freiheit gegenüber den Diktaten des Zeitgeists gewährt, ist ihnen offenbar ein Gräuel.“

Liessmann wiederum ist die „Suspendierung jener Individualität, die einmal Adressat und Akteur von Bildung gewesen ist“, ein Gräuel. Und auch „das viel gepriesene Teamwork“ ist ihm suspekt, wenn darin „nichts so stört wie individuelle Abweichungen“. Was diese Individualität zu leisten vermag, kann man am besten an Liessmann selbst studieren. Privat liebt er nicht nur die Oper (holt er sich dort die Portion Pathos zurück, die er sich beim Philosophieren verbietet?), sondern auch das Fahrradfahren. Man könnte sich vorstellen, dass er dabei gern (wenn er nicht gerade von Studenten gesehen wird) freihändig fährt, dass ihm die Luft im Auto zu dumpf ist, ihm in öffentlichen Verkehrsmitteln zu viele Leute sitzen. Liessmann ist kein Teamspieler, er ist Solist – und brilliert (nur) als solcher.

Gegen die Dummheiten des Zeitgeists steht Liessmann auch, wenn er sich beim Philosophicum Lech, das er seit zehn Jahren leitet, „geistfeindlichem Quotendenken“ verweigert (das ihm gebieten würde, beim Thema Religion partout einen Vertreter pro Religion einzuladen). Dort konnte man am Donnerstag Liessmann als Redner erleben: Was diesen auszeichnet, nannte man früher, weil man es im Deutschen nicht fand, „Esprit“ – der raffinierte Gebrauch des Verstandes, die Fähigkeit zu überraschenden, aber gehaltvollen Assoziationen.

Vom Gretchen zum Kopftuch

„Gretchens Frage und warum Faust darauf keine Antwort wusste“, hieß die Rede. Die Eleganz, mit der Liessmann da den Bogen von postkantianischer Aufklärung zu Luhmann schlägt, von Goethes Gretchen zum Kopftuch, von Faust zum Westen, macht ihm schwer einer nach. Schaumschlagende Vernebelung? Mitnichten. „Das Problem liegt in der Reetablierung eines Konzeptes von Religion, das es erlaubt, diese als Gemeinschaft zu denken, die die Souveränität des Einzelnen bezweifelt und für ihre Lebensform und den dazugehörigen Wertvorstellungen einen Sonderstatus gegenüber den Rechtsnormen der Gesellschaft, in die sie eingebettet ist, beansprucht“: Klarer geht's wohl nicht. Auch Liessmann ist, wie Faust, ein Verführer – aber zum klaren Denken. Den Teufel dürfte das eher schrecken.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.09.2007)


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