Antirassismus-Training für die Polizei: Was hat man sich darunter vorzustellen? Zwei Trainer, 20 Polizisten, zwei Tage Zeit. Treffpunkt: das Besucherzentrum der KZ-Gedenkstätte Mauthausen.
Ein Bericht aus der Praxis.
Als ich den Wagen den grünen Hügel hinaufschraube, warten sie bereits auf mich. Einige Männer stehen in Gruppen und plaudern, manche rauchen schweigend und genießen die Morgensonne. Wir treffen auf dem Parkplatz vor dem ehemaligen Konzentrationslager Mauthausen aufeinander, ein verwehtes Motorsägengeräusch fährt in die Stille. Gleich darauf tauchen wir in den fensterlosen Betonzweckbau des Besucherzentrums ab. 20 Polizisten haben sich mittlerweile eingefunden, um ein zweitägiges Sensibilisierungstraining gegen Rassismus und Diskriminierung zu absolvieren. Durchführende Organisation ist die amerikanische "Anti Defamation League", die ein Training mit dem freundlichen Titel "A World of Difference" im Auftrag des Innenministeriums anbietet. Das Programm verspricht Empathie, Sensibilität, Verständnis für andere und Fremdes. Mehr als 1000 Kollegen haben das Training in den vergangenen Jahren hinter sich gebracht, nahezu alle Beamten sollen in den nächsten Jahren durchgeschleust werden, Polizeischüler, Streifenpolizisten, Kommandierende, Schreibkräfte, Polizeijuristen, Kriminalbeamte und vermehrt auch Mitglieder von Sondereinheiten. Neuerdings besonders diese.
Es liegt Spannung in der Luft, als mein Co-Trainer, der selbst im Polizeibereich arbeitet, das Training eröffnet. Nur einer der Teilnehmer hat sich freiwillig gemeldet, er verrichtet an einer Grenzstation Dienst, alle anderen wurden von ihrer Dienststelle nominiert. Eine schwierige Ausgangslage. Und bereits in der Vorstellungsrunde ist klar: Viele haben sich vorgenommen, auszusprechen, was sie denken.
Ein älterer Wiener Polizist macht den Anfang. Aufgebracht berichtet er von eskalierenden Amtshandlungen, einige Kollegen lachen, als er meint, dass Ausländer mittlerweile mehr Rechte als Österreicher haben. Widersprochen wird ihm nicht. Ein anderer erzählt, dass er Afrikaner vor der Bevölkerung regelrecht schützen müsse, die zunehmend aggressiv werde und von ihm fordere, die Dealer von den Straßen verschwinden zu lassen. Plötzlich ist Stille im Raum. Alle schauen zu mir, warten auf meine Reaktion. Es ist Zeit, die erste Übung zu moderieren.
Bald darauf stecken wir in heftigen Diskussionen. Die Teilnehmer haben fünf wichtige Aspekte ihrer Identität aufgeschrieben, die meisten dachten dabei an Familie, Beruf, Hobbies und Sport. Jemand schreibt "Jäger" als seine Gruppenidentität auf, einem fällt die freiwillige Feuerwehr ein. Kategorien wie Geschlecht, Nationalität, Sprache oder ethnische Herkunft spielen keine vorrangige Rolle. Ist ja selbstverständlich für uns, sagt eine Polizistin. Ja, für die Mehrheit der Bevölkerung, aber für Nichtösterreicher spielen Sprache und Nationalität eine große Rolle, gibt ein junger Kollege zu bedenken. Die wollen sich gar nicht anpassen, raunt da einer, sein Sitznachbar pflichtet ihm bei und zitiert eine Studie des Innenministeriums: 40 Prozent der Moslems wollen ja unter sich bleiben, meint er. Lautes Stimmengewirr hebt an, wir hören Geschichten von nächtlichen Verkehrskontrollen, Kopftuch tragenden Frauen, Drogenrazzien in der Straßenbahn und Abschiebungen. Was als Diskussion über Identität begann, endet unversehens in einem düsteren Zukunftsszenario, in dem die Österreicher Minderheit sind und der Muezzin in Tiroler Bergdörfern zum Gebet ruft. Niemand lacht, es ist ernst gemeint.
In der Mittagspause fahren wir im Konvoi zu einem Gasthaus in dem aus KZ-Zeiten berüchtigten Wienergraben. Der Wirt ruft uns entgegen, ob wir vom Lager kämen und reserviert hätten. Ja, sage ich, und wir setzen uns in den Gastgarten am Fuß der Todesstiege. Die Teilnehmer des Trainings setzen ihre Diskussionen beim Mittagsmenü fort. Die lästige Dienstverpflichtung, hierher zu kommen, scheint vergessen zu sein. Ein Beamter aus einem Polizeianhaltezentrum berichtet von den Haftbedingungen minderjähriger Flüchtlinge; er führe nur Anweisungen aus, klagt er, wohl fühle er sich nicht dabei. Und viele stimmen dem zu, die Polizei müsse die Suppe auslöffeln, die Politiker seien für unmenschliche Gesetze zuständig. Zum ersten Mal fällt das Wort Verantwortung. Und die Namen Marcus Omofuma und Cheibani Wague.
Hier teilt sich die Meinung der Gruppe. Der Großteil bezeichnet die betroffenen Polizisten als Opfer eines Systems, einige sehen das Problem im Verhalten der Afrikaner, einige wenige verurteilen das Handeln ihrer Kollegen. Das hätte mir auch passieren können, und nicht nur einmal, sagt ein Beamter, der kurz vor der Pension steht. Es kann jederzeit wieder passieren, darüber sind sich alle einig.
Am Nachmittag wird es heiß im Seminarraum, alle sind müde, und um die Diskussionen über Diskriminierung und Ausgrenzung wieder in Schwung zu bringen, machen wir eine Übung, bei der Lebenskarten gezogen werden, die per Zufall bestimmte Eigenschaften zuschreiben. Einige lachen auf, als einer seine neue Identität zeigt: Er hat die Karte "homosexuell" gezogen und plagt sich ab, einen Fragebogen auszufüllen. Was sagen die Freunde, wenn du dich als schwul outest, wie verhält sich der Dienstgeber? Schwul sein in der Polizei? Ist ein Outing möglich? Kein Problem, meint ein Beamter, während sein Dienststellenkollege ruft, er wolle das wegen der gemeinsamen Duschräume gar nicht wissen. Gelächter. Schließlich stimmen alle zu, Nachteile brächte es schon mit sich, Diskriminierung sei das jedoch nicht.
Welche Lebenskarte ist denn nun von Diskriminierung betroffen? Der Rollstuhlfahrer, der Alkoholiker, der Depressive oder der HIV-Positive? Die Beamtin, die bei der Übung Muslima ist, sieht kein Problem, ihren Dienst weiter zu versehen. Sie würde aber kein Kopftuch tragen, anpassen würde sie sich schon. Niemand kennt eine muslimische Polizistin im Polizeidienst. Ist das Diskriminierung? Da zeigt ein anderer Teilnehmer seine Lebenskarte, auf der "jüdisch" steht. Er ist ratlos und kann sich sein Leben als Jude nicht vorstellen. Er wäre auf keinen Fall bei der Polizei, dort gäbe es nämlich keine Juden. Oder doch? Ein Zwischenruf unterbricht seine Überlegungen. Die haben das nicht nötig, Polizist zu sein. Skeptische Blicke, Nicken. Wir öffnen die Luken des Oberlichts, um etwas mehr Luft in den Raum zu bekommen. Vor dem Besucherzentrum brummen die Autobusse, Stimmengewirr von Schulklassen ist zu hören. Am Ende des Tages wird für den nächsten Morgen eine Besichtigung der Gedenkstätte angeboten, wer möchte, kann daran teilnehmen. Fast alle erklären sich bereit. Wenn wir schon einmal hier sind.
Zeitig am Morgen ist es kalt auf dem Plateau zwischen den Baracken. Die herbstliche Luft auf dem Appellplatz kühlt die Besucher aus, nun wärmen sie sich die Hände an Kaffeeschalen und behalten die Jacken an, als sie wieder im Sesselkreis Platz nehmen. Wir sprechen über Gehorsam und Grausamkeit und darüber, dass des Öfteren die Duschköpfe in den Gaskammern als Souvenir mitgenommen und ersetzt werden müssen. Wie können Menschen so weit gebracht werden, dass sie andere unmenschlich behandeln, ist die Frage, die im Raum steht. Wir zeigen den Film "Brown eyes, blue eyes", einen Dokumentarfilm über ein amerikanisches Experiment, in dem der Unterschied der Augenfarbe eine unterschiedliche Bewertung von Menschen und deren Charakter innerhalb einer Gruppe auslöst: Eine Versuchsleiterin diskriminiert durch gezielte Bevorzugung braunäugiger Personen die Blauäugigen, die in der Minderheit sind - und kein Widerstand kommt auf. Nach dem Video melden sich viele der Teilnehmer zu Wort. So funktioniere die Wirtschaft, das geschehe in der Gesellschaft täglich, etwa in der Schule oder beim Mobbing am Arbeitsplatz.
Wir sind die Blauäugigen, ist sich ein ehemaliger Gendarm sicher, der nun Polizist ist. Er zeichnet mit wenigen Strichen die Strukturen der Reform seiner Organisation auf das Flipchart. Die Pfeile zeigen von oben nach unten, ganz unten sind wir, erläutert er, wer kritisch ist, der verliert. Wer Widerstand leistet, bekommt Schwierigkeiten. Wer anders ist, wird benachteiligt. Womit wir wieder beim Thema wären.
Daher arbeiten wir anschließend mit einer anderen Methode, um die Meinungen der Teilnehmer nochmals zu hinterfragen. Nach der Kaffeepause, in der hitzig über den Umgang mit Kollegen in den Dienststellen diskutiert wird, sind auf dem Boden des Seminarraums Markierungen angebracht. Auf der linken Hälfte des Bodens klebt ein Zettel mit "Ja", rechts ist ein "Nein" zu sehen. Nun werden Statements vorgelesen, und die Teilnehmer positionieren sich entsprechend. "Wer hart arbeitet, kann es in Österreich zu etwas bringen." Fast alle gehen unverzüglich zu "Ja", doch als jemand Randgruppen aufzählt, die es aus eigener Kraft nicht zu einer gesicherten Existenz schaffen, wechseln einige die Seite. Beim nächsten Statement wird vorerst nachgefragt, Begriffe werden definiert: "Drogenabhängige neigen zu Kriminalität!" Sind auch Alkoholiker Drogenabhängige? Was bedeutet eine solche Aussage für die Betroffenen? Die Gruppe übt, Sprache sensibler zu verwenden, besser zuzuhören. Manchmal stehen einige genau zwischen "Ja" und "Nein". Darüber muss ich nachdenken, das weiß ich nicht, sagt ein Polizist, der zu Beginn des Trainings überzeugt war, umsonst hier zu sein.
Ein besonderes Anliegen haben wir für das Ende des Trainings aufgehoben. Die Stimmung ist gut, die Feedback-Runde läuft. Und so fragen wir einen Vizekommandanten, weshalb er Afrikaner wiederholt mit "Neger" bezeichnet hat. Ein, zwei ältere Teilnehmer schütteln den Kopf. Wieso? Das Wort "Neger" stehe im Duden, und der gibt doch die deutsche Sprache vor. Eine Polizistin, die sich bisher kaum zu Wort gemeldet hat, bringt es in letzter Minute kurzerhand auf den Punkt: Es sei verletzend, so etwas zu sagen. Unsensibel und letztlich unprofessionell, da eskalierend. Noch einmal wogen die Meinungen auf, alle rufen durcheinander. Nun müsse man Drogendealer mit Samthandschuhen anfassen, die kennen ihre Rechte, haben einen Zettel mit der Telefonnummer eines Anwalts in der Manteltasche und beschimpfen Polizisten als Rassisten. Wenn man sie anfasst, dann . . .
Es ist später Nachmittag. Wir machen noch ein Gruppenfoto vor dem Tor der Gedenkstätte. Ich gehe zu meinem Wagen. Der Parkplatz ist leer, die Busse haben die Besucher fortgebracht, einige Radtouristen sehen dem Sonnenuntergang zu. Da kommt der Vizekommandant auf mich zu, gibt mir die Hand und flüstert, dass er diesen Begriff, ich wisse schon, welchen, in Zukunft nicht mehr verwenden werde. Dann salutiert er und steigt in seinen Dienstwagen. Lange fahre ich die Donau entlang hinter ihm her, erst auf der Autobahn trennen sich unsere Wege. Er winkt mir zu, streckt den Daumen in die Höhe und lächelt in den Rückspiegel.